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Neue Solidarität
Nr. 22-23, 27. Mai 2009

Optimale Gesundheitsversorgung der Bevölkerung sichern!

Die Einsparungspolitik der letzten zwei Jahrzehnte hat überall in der entwickelten Welt einen massiven Abbau medizinischer Einrichtungen bewirkt, und man will sie unter dem Druck der Krise noch verschärfen.

Die Diskussionen beim 112. Deutschen Ärztetag brachten jetzt eine längst überfällige öffentliche Debatte über die existierende „Mangelversorgung“ und „heimliche Rationierung medizinischer Leistungen“ in Gang. Die Delegierten drückten ihr Unverständnis darüber aus, „mit welcher Geschwindigkeit und Leichtigkeit die Politik Milliardensummen zur Kompensation einer fehlgeleiteten Finanzpolitik und zur Konsolidierung von Banken und Unternehmen aufwendet, während Patienten, Ärzte und Bürger unseres Landes seit Jahren heftig um vergleichsweise kleine Zuwächse an den Finanzmitteln der Gesetzlichen Krankenversicherung kämpfen müssen.“

Diese Situation hat in Deutschland seit Jahren, z.B. im Krankenhausbereich, zu einer drastischen Unterfinanzierung und einer schlechteren Versorgung der Patienten geführt. Unter den Bedingungen der Sparpolitik im Gesundheitswesen ging zwischen 1991 und 2006 sank Zahl der Krankenhäuser um 307 bzw. 12,7%. Erklärtes Ziel der Politik war es seit 1991, sog. „Überkapazitäten“ zu beseitigen, die es angeblich im Krankenhauswesen gab. Laut einer für ver.di1 im Sommer 2008 erstellten Studie wurden von 1995-2006 in den Krankenhäusern insgesamt 95 650 Vollzeitkräfte bzw. - stellen oder 10,8% des Ausgangsstandes abgebaut, wobei vor allem der Pflegebereich überdurchschnittlich stark betroffen war. Und das trotz steigender Krankenzahlen, denn zwischen 1995-2006 stieg die Zahl der vollstationären Behandlungen um 12,2%. Allein zwischen 2002 und 2006 nahm die Zahl der teilstationären Behandlungen um 66%, die der vorstationären um 94% und die Zahl der ambulanten Operationen sogar um 162% zu.

Die ver.di-Studie weist vor allem auf den Einbruch der Finanzierungsgrundlage, nämlich die Entwicklung der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder der Gesetzlichen Krankenkassen, gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hin und betont, daß das Hauptproblem auf der Einnahmeseite und nicht auf der Ausgabenseite liege. Vor allem die seit 1980 anhaltende und steigende, hohe Arbeitslosigkeit, sehr geringe Lohn- und Gehaltssteigerungen und eine größer werdende Einkommensschere zwischen unteren und oberen Einkommen habe diese Grundlage immer mehr schrumpfen lassen. Die beitragspflichtigen Einnahmen der GKV-Mitglieder, die 1996 noch 47,387% des BIP betrugen, waren 2005 auf einen Anteil von 43,255% gesunken. Mit einer einfachen Modellrechnung wird die Auswirkung dieses Problems auf der Einnahmeseite gezeigt: Die Krankenkassen hätten bei gleichbleibendem Beitragssatz in diesem Zeitraum ca. 10% mehr an Einnahmen zur Verfügung gehabt, wenn die Einnahmegrundlage der GKV nicht geschrumpft wäre.

Dankenswerterweise - allen bilanzfixierten Monetaristen zum Trotz - betont die Studie außerdem die Absurdität, Kriterien monetärer Rentabilität als Maßstab für die gesundheitliche Versorgung anzusetzen. Bis heute gebe es „keine allgemein anerkannte Definition von ,Wirtschaftlichkeit' im Sozialrecht“. Schon 1991 habe der Sachverständigenrat der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen festgestellt: „Der medizinische Nutzen des Krankenhauses ist - wegen der Heterogenität der behandelten Fälle - ebenso wenig wie sozialer Nutzen aus den verfügbaren Globaldaten - zu bestimmen: es ist unmöglich, die mit dem Gesamtaufwand erzielten Effekte diesem gegenüberzustellen und zu einer schlüssigen Aussage über den Nutzen der stationären Versorgung als ganzer zu kommen.“ Deshalb sei es auch nicht möglich, ein Urteil über die Wirtschaftlichkeit zu fällen, „wobei unter Wirtschaftlichkeit der Quotient aus medizinischem und sozialem Nutzen (Ertrag) und Gesamtaufwand verstanden wird.“

Statt die Primärleistung in den Mittelpunkt zu stellen, nämlich die Heilung und Behandlung von Krankheiten - werden bekanntlich quantifizierbare, monetäre „Kennzahlen“ verwandt (Verweildauer, Fälle, Operationszahlen, diagnostische Einzelleistungen etc.), die dann zur Feststellung einer angeblich noch vorhandenen „weiteren Wirtschaftlichkeitsreserven“ in Krankenhäusern“ für strikte Sparvorgaben eingesetzt werden. Damit wird die Versorgung der Bevölkerung immer weiter eingeschränkt und das zentrale Prinzip des deutschen Systems der sozialen Sicherung im Krankheitsfall eindeutig verletzt - daß nämlich alle Versicherten einen uneingeschränkten Anspruch auf alle im Bedarfsfall notwendigen medizinischen Leistungen haben.

Laut statistischen Daten von Eurostat gibt es seit 1980 in den meisten Mitgliedstaaten einen erheblichen Rückgang der Gesamtzahl der Krankenhausbetten. In der EU der 15 Mitgliedsländer machte dieser Rückgang von 1980-2000 mehr als 30% aus, u.a. wegen der immer kürzeren Verweildauer aus Kostengründen. Die Verweildauer sank von 17,4 Tagen im Jahr 1980 auf weniger als 11 Tage im Jahr 1997.

Wenn nun noch durch die neue EU-Direktive über die sog. „Anwendung von Patientenrechten in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung“, die gerade vom Europaparlament gebilligt wurde, aufgrund von Art. 95 ein neuer „Binnengesundheitsmarkt“ mit Dumpingpreisen geschaffen werden soll, steht damit eine neue Welle von Privatisierung und Zerstörung für die nationalen Gesundheitssysteme bevor. 2005 war gegen den massivem Widerstand der Gewerkschaften der Passus über die Gesundheitsversorgung noch von der Bolkestein-Richtlinie über „freien Dienstleistungsverkehr“ ausgenommen worden.

Noch mehr „Kosteneinsparungen“ unter Bedingungen des Wirtschaftskollapses und in Folge des massiven Wegbrechens von Steuereinnahmen werfen angesichts der Gefahr neuer globaler Pandemien (wie der Schweinegrippe) weitere, existentielle Fragen auf: Existiert z.B. die medizinische Infrastruktur überhaupt noch im vorgesehenen Maßstab, wie sie der Nationale Pandemieplan der Bundesregierung von 2007 vorsieht? Sollten im Fall einer Pandemie innerhalb von acht Wochen rund 30% der Bevölkerung erkranken, so würde das 13 Millionen zusätzliche Arztbesuche und 370.000 zusätzliche Krankenhauseinweisungen bedeuten, so die offiziellen Berechnungen.

Ein Blick auf die Situation in führenden OECD-Ländern nach zwanzig Jahren Privatisierungen und Kostensenkungen im Gesundheitswesen ergibt das folgende Bild: Alle hier betrachteten Staaten haben in den letzten 20 Jahren ihre Anzahl an Krankenhausbetten (stationäre Versorgung) reduziert (Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten). Die Zahlen stammen von der OECD:

Deutschland von 665.565 (1991) auf 510.767 (2006)

Kanada von 113.278 (1980) auf 89.491 (2005)

USA von 992.075 (1980) auf 804.491 (2006)

Frankreich von 334.796 (1980) auf 224.168 (2006)

Italien von 444.143 (1980) auf 190.561 (2006)

Japan von 1.534.900 (1994) auf 1.051.107 (2006)

Vereinigtes Königreich von 237.500 (1995) auf 135.380 (2006)

Diese Länder haben demzufolge ihren Bestand zwischen 30 und 50% abgebaut.

Betrachtet man das Verhältnis pro 1000 Einwohner, wird der Abbau noch deutlicher:

Deutschland von 8,3 (1991) auf 6,2 (2006)

Kanada von 4,6 (1980) auf 2,8 (2005)

Japan von 12,3 (1993) auf 8,2 (2006)

Frankreich von 6,2 (1980) auf 3,7 (2006)

Italien von 8,0 (1980) auf 3,3 (2006)

USA von 4,4 (1980) auf 2,7 (2006)

Vereinigtes Königreich von 4,1 (1994) auf 2,2 (2006)

In diesen letztgenannten Ländern ist somit die Bettenzahl halbiert worden. Ob damit noch eine Versorgung der Bevölkerung gewährleistet ist, darf bereits jetzt bezweifelt werden - umso mehr unter Bedingungen eines sehr wohl möglichen medizinischen Notstands.2

Elke Fimmen/ Rene Noack


Anmerkungen

1. Zitate und Zahlenangaben aus „16 Jahre Deckelung des Krankenhausbudgets: eine kritische Bestandsaufnahme“ von Prof. Michael Simon, FH Hannover, für ver.di, Juni 2008.

2. Diese Zahlenangaben der OECD wurden unter www.gbe-bund.de veröffentlicht.