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Aus der Neuen Solidarität Nr. 15/2009 |
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Man hätte besser in den Bau von Eisenbahnen in Afrika investieren sollen als in amerikanische Investmentbanken, erklärte Bundespräsident Horst Köhler in seiner „Berliner Rede“.
Vor allem das Desinteresse der führenden Politiker an der Lage der Realwirtschaft, wie es nur allzu deutlich auf dem G-20-Treffen in London sichtbar wurde, läßt kaum Vertrauen in die Fähigkeit der etablierten Eliten, diese Weltfinanzkrise zu lösen, aufkommen. Unter den etablierten deutschen Politikern ist vielleicht nur einer, dem man wenigstens etwas Kompetenz zutrauen kann, und der war nicht mit in London dabei: Bundespräsident Horst Köhler. Zwar zeigt auch dessen jüngste „Berliner Rede“ vom 24. März die Schwachstellen im Denken der Eliten, so das starre Festhalten an überkommenen Institutionen wie dem IWF, aber Köhler sagte gleich zu Beginn seiner Rede etwas recht aufschlußreiches:
„Ich will Ihnen eine Geschichte meines Scheiterns berichten. Es war in Prag, im September 2000. Ich war neu im Amt als Geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds. Mein Ziel war es, den IWF zum Exzellenzzentrum für die Stabilität des internationalen Finanzsystems zu machen. Die Entwicklung auf den Finanzmärkten bereitete mir Sorgen. Ich konnte die gigantischen Finanzierungsvolumen und überkomplexen Finanzprodukte nicht mehr einordnen. Ich begann, kapitalmarktpolitische Expertise im IWF aufzubauen. Das sahen nicht alle gern. Und ich wunderte mich, daß sich die G7-Staaten nur zögerlich einer Überprüfung ihrer Finanzsektoren unterziehen wollten; solche Überprüfungen waren von den Mitgliedstaaten des Internationalen Währungsfonds 1999 als Lehre aus der Asienkrise beschlossen worden. Viele, die sich auskannten, warnten vor dem wachsenden Risiko einer Systemkrise. Doch in den Hauptstädten der Industriestaaten wurden die Warnungen nicht aufgegriffen: Es fehlte der Wille, das Primat der Politik über die Finanzmärkte durchzusetzen.
Jetzt sind die großen Räder gebrochen, und wir erleben eine Krise, deren Ausgang das 21. Jahrhundert prägen kann. Ich meine: zum Guten, wenn wir aus Schaden klug werden. Noch aber entfaltet die Rezession sich weiter. Jeder Kontinent ist erfaßt. Die Finanzkrise hat blitzschnell durchgeschlagen auf die reale Wirtschaft. Gestern war Deutschland noch Exportweltmeister. Ein stolzer Titel fällt uns heute vor die Füße. Aufträge brechen weg, mit nie dagewesener Geschwindigkeit.“
Köhler bezog sich hiermit auf die neuesten Statistiken der Maschinenbauer, die bereits drei Monate - Dezember, Januar und Februar - mit durchschnittlichen Auftragsverlusten im Umfang von 44 Prozent, im Februar sogar von 49 Prozent gegenüber dem gleichen Vorjahresmonat, zu verzeichnen haben. Firmen, die auf die Fertigung von Maschinen für die Holzverarbeitung, für die Automobil- und Stahlindustrie, aber auch für das Hüttenwesen spezialisiert sind, berichten von Auftragsverlusten sogar um mehr als 70 Prozent im Februar. Was weder die Bundeskanzlerin noch ihr Finanzminister kapieren: der Maschinenbau ist „systemrelevant“, denn ohne ihn gäbe es keine deutsche Industrie, ohne ihn wäre Deutschland nicht Exportweltmeister.
Köhler hätte eine noch interessantere Geschichte erzählen können - nämlich die, wie er im Auftrage Bundeskanzler Kohls Anfang 1998 Indonesien als Berater für Maßnahmen gegen die damals wütende Asienkrise diente. Köhler gab den Indonesiern, aber auch anderen in Asien, den Rat, auf jeden Fall der Stärkung des öffentlichen Bankensektors und der Stabilisierung der gewerblichen Wirtschaft den Vorrang zu geben und die Rolle des Staates dabei zu betonen.
Kaum war Köhler, der hierbei auch seine mehrjährigen Erfahrungen als Chef des von ihm wiederholt gegen die Deregulierer von der Europäischen Kommission verteidigten deutschen Sparkassenverbandes mit einarbeitete, wieder zurück in Deutschland, gab ein amerikanischer Politiker den Indonesiern Anweisungen, sich nicht an die deutschen Empfehlungen zu halten, sondern stattdessen das zu tun, was im Interesse der privaten Banken und Investmentfonds war. Dieser Politiker war Larry Summers, derselbe Mann also, der zur Zeit Präsident Obama von allen sinnvollen Ratschlägen und Kontakten fernhält und auf dem von der Wall Street und dem Londoner Finanzzentrum vorgegebenen Kurs der hyperinflationären Finanzspritzen für die Banken und Fonds hält.
„Die Weltwirtschaft ist unser Schicksal“, fuhr Köhler in seiner Berliner Rede fort. „Deshalb müssen wir unser Gewicht jetzt aktiv und konstruktiv in die internationale Zusammenarbeit zur Überwindung der Krise einbringen… Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll auch dem Allgemeinwohl dienen. Doch das Auftürmen von Finanzpyramiden wurde für viele zum Selbstzweck, insbesondere für sogenannte Investmentbanken. Damit haben sie sich nicht nur von der Realwirtschaft abgekoppelt, sondern von der Gesellschaft insgesamt. Dabei geht es auch um Fragen der Verantwortung und des Anstands. Was vielen abhanden gekommen ist, das ist die Haltung: So etwas tut man nicht. Bis heute warten wir auf eine angemessene Selbstkritik der Verantwortlichen. Von einer angemessenen Selbstbeteiligung für den angerichteten Schaden ganz zu schweigen.“
Hier hätte Köhler die Einrichtung einer Pecora-Kommission zur Untersuchung der Krisenursachen, wie sie die BüSo fordert, anmahnen können. Das tat er leider nicht, aber dafür sagte er etwas, was unter den etablierten Politikern derzeit außer dem italienischen Finanzminister Tremonti niemand erwähnt: „Ich bleibe bei meinem Vorschlag, ein Bretton Woods II unter dem Dach der Vereinten Nationen zu organisieren, um eine grundsätzliche Reform der internationalen Wirtschafts- und Finanzordnung voranzutreiben. Wir brauchen ein neues, durchdachtes Weltwährungssystem und ein politisches Verfahren für den Umgang mit globalen Ungleichgewichten.“
Hier griff Köhler einen Faden wieder auf, den er ausführlicher schon in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 11.12.2008 gesponnen hatte. Dort sagte er: „Ich finde es richtig, die Idee der sozialen Gerechtigkeit auch in ihrer internationalen Dimension zu erfassen. Das Recht auf Wohlstand ist nicht für uns reserviert. Eine Zukunftsaufgabe für uns in Deutschland besteht darin, armen Ländern beim Vorankommen zu helfen und trotzdem unseren Wohlstand zu halten... Und wir Deutsche haben mit der Sozialen Marktwirtschaft den Beweis erbracht, daß es möglich ist, Freiheit und Marktwirtschaft mit sozialem Ausgleich zu verbinden. Da haben wir etwas anzubieten. Wenn das heute deutsches Wesen ist: nur zu.“ Köhler sagte dann etwas später: „Deshalb geht es für mich neben dem internationalen Krisenmanagement eben auch darum, daß wir uns gemeinsam den Kopf darüber zerbrechen, was sich grundlegend ändern muß, damit mehr Menschen die Erfahrung machen, daß sich ihre Anstrengung für sie und ihre Kinder lohnt. Das ist Teil der Idee, wenn ich von Bretton Woods II spreche: Die Arbeit an einer Weltwirtschaftsordnung, die für alle Wohlstand im eigenen Umfeld faßbar macht und alle Menschen am Fortschritt teilhaben läßt; die faire Handelsverträge für Entwicklungsländer garantiert und die Doppelmoral der Industrieländer abbaut. Dafür haben wir jetzt eine historische Chance.“ Gefragt, ob er, mit seinem Wissenshintergrund, nicht „eine neue Bretton-Woods-Konferenz einberufen“ könne, antwortete Köhler, das jucke ihn zwar in den Fingern, „aber in der Amtsbeschreibung des Bundespräsidenten kommt das nicht vor.“
Da sollte Köhler einfach über seinen Schatten springen und auch ohne „Amtsbeschreibung“ die Initiative ergreifen und den amerikanischen Präsidenten Obama dazu ermuntern, einen richtigen Weltwirtschaftsgipfel, eben eine Konferenz über ein Bretton Woods II, zu veranstalten und dort all das auf die Tagesordnung setzen, was jetzt in London zu kurz kam.
Zu den in London absichtlich vergessenen Themen gehört zum Beispiel die Frage der Entwicklung Afrikas. Hierzu sagte Köhler in seiner Berliner Rede interessanterweise:
„Ich stehe dazu: Für mich entscheidet sich die Menschlichkeit unserer Welt am Schicksal Afrikas. Und wir wissen heute: Es wäre ein geringeres Risiko gewesen, eine Eisenbahnlinie quer durch Afrika zu bauen, als in eine angesehene New Yorker Investmentbank zu investieren.“
Nun, Teil eines Bretton-Woods-II-Programms zur weltweiten Ankurbelung der realen Wirtschaft wäre der Bau von Eisenbahnlinien quer durch den afrikanischen Kontinent. Ein Plakat, um dafür zu werben, existiert sogar schon: es kam das erste Mal im hessischen Landtagswahlkampf im Januar zum Einsatz, und die BüSo wies damit darauf hin, daß die Zukunft der hessischen Industrie in Afrika liege, für das man Magnetbahnen und Traktoren produzieren könne. Vielleicht ist eins dieser Plakate, das auch auf Flugblättern der BüSo abgebildet war, sogar auf dem Tisch von Bundespräsident Köhler gelandet...
Rainer Apel
Lesen Sie hierzu bitte auch: Obama muß Summers rauswerfen, um seine Präsidentschaft zu retten! - Neue Solidarität Nr. 14/2009 Ehe es zu spät ist: Weg mit „den blödesten Ideen der Welt“! - Neue Solidarität Nr. 12/2009 Hessens Zukunft liegt in Afrika! - Neue Solidarität Nr. 52/2008 Stellungnahmen und Reden der BüSo-Vorsitzenden - Internetseite der Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo) |
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