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Aus der Neuen Solidarität Nr. 11/2009 |
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Nach seinem Vortrag stellte sich Prof. Hankel der Diskussion mit den Teilnehmern der Rüsselsheimer Konferenz.
Frage von Prof. Blagoje Babic aus Belgrad/Serbien (per E-mail eingesandt): Mich würde interessieren, wie Herr Prof. Hankel das Geheimnis des Erfolgs der Kreditanstalt für Wiederaufbau erklärt. Deutschland erhielt viel weniger Hilfe als Frankreich und Großbritannien aus dem Marshall-Plan, aber es war viel erfolgreicher in deren Verwendung. Welche Lehren können wir daraus für die heutige Kreditschöpfung der Kreditanstalt ziehen? Besonders interessiert mich, was Serbien von der theoretischen Grundlage des deutschen Wirtschaftswunders lernen kann, die von Männern wie Eucken, Röpke, Müller-Armack und Ludwig Erhard geschaffen wurde?
Hankel: Der Erfolg der Kreditanstalt ist teilweise das Verdienst der Vereinigten Staaten, denn es war ein ausgesprochen vernünftiges Konzept, den europäischen Staaten kein Geld zu schicken - das hätte nur die Inflation befördert -, sondern das, was sie brauchten: Sachgüter, Lebensmittel. Aber diese Lebensmittel wurden nicht geschenkt, sie mußten damals von den Käufern bezahlt werden. Und aus der Bezahlung der Lebensmittel, die dem Staat geschenkt wurden, aber nicht dem Konsumenten, entstanden die Gegenwerte, die Counterparts. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau war der Kollektor aller dieser Counterparts. Das war ein neues Vermögen, in der Größenordnung - damals sprach man noch von Milliarden, und meinte, das sei viel, und nicht Billionen - von 12 Milliarden DM.
Dadurch wurde die Kreditanstalt, und das war das zweite Erfolgsgeheimnis, zu einem Vorläufer, um nicht zu sagen, einer Alternative des deutschen Kapitalmarkts. Es gab damals keinen deutschen Kapitalmarkt, wir waren viel zu arm, um zu sparen. Auch die Banken waren zerschlagen und viel zu klein, um Investitionsfinanzierung zu betreiben. Kurz: Die Kreditanstalt war im ersten Jahrzehnt des Wiederaufbaus die zentrale Investitionsbank und ein Ersatz für den Kapitalmarkt, und es ist ihr Verdient, daß sie damals vernünftige Investitionen finanziert hat und nicht, wie heute, Lehman Brothers und andere.
Das sind die zwei Gründe. Die Philosophie von Erhard und Müller-Armack hat nicht gestört, aber sie war auch nicht Teil der KfW, der Wiederaufbau-Philosophie. Sie paßte nur in das ganze Klima hinein, daß wir wieder freie Unternehmer, freie Investoren hatten.
Und ganz wichtig für den Erfolg war natürlich ein Drittes, was nichts mit der KfW zu tun hat. Das war die Schaffung einer neuen, stabilen Währung, der D-Mark. Ludwig Erhard hat sich später als Vater der D-Mark „geoutet“, aber er hat lange gezögert, denn er war es gar nicht. Die D-Mark ist damals von amerikanischen Besatzungsoffizieren entwickelt und entworfen worden, und es war zunächst gar nicht klar, ob diese Reißbrettwährung ohne jede Deckung - es gab nicht mal ein Gramm Gold in der damaligen Bundesbank, die hieß noch Bank Deutscher Länder -, ob das ein Erfolg würde. Deswegen haben die politischen Stellen, Erhard an der Spitze, erst mal gewartet. Aber als es ein Erfolg war, da hatte die D-Mark plötzlich einen neuen Vater, und das war die deutsche Regierung, und das war auch Ludwig Erhard, der sich dann dazu bekannt hat.
Aber das Zusammenspiel einer stabilen Währung mit einem vernünftig aufgebauten Kapitalmarkt, dessen Kern, dessen Nukleus die amerikanischen Gegenwerte waren, das macht aus dem deutschen Wirtschaftswunder eine sehr rational erklärbare Angelegenheit. (Applaus.)
Helga Zepp-LaRouche: Vielleicht noch die Frage, was Serbien heute tun soll?
Hankel: Ich weiß vieles, aber nicht alles.
Serbien ist, wie vielleicht nach dem Zweiten Weltkrieg vergleichbar mit Deutschland, eine gedemütigte Nation. Und die Demütigung geht so weit, daß das serbische Kernland, der Kosovo, heute dieser Nation abgesprochen wird, mit westlicher Hilfe und Unterstützung. Das ist rechtlich dubios, und es ist völkerpsychologisch eine Katastrophe.
Serbien mag in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg viele Fehler gemacht haben, es mag Slowenien und die anderen Landesteile, Montenegro usw. unterdrückt und ausgebeutet haben. Aber eines hat Serbien natürlich nicht verdient: daß man es heute seines eigenen Kernlandes und vor allen Dingen seiner eigenen Geschichte beraubt. Und der Westen hat einen schweren Fehler gemacht, in diesem Fall auch die NATO und in meinen Augen auch die Vereinigten Staaten, daß sie diese Demütigung als aktive Politik betrieben haben.
Das macht es so schwer, in Serbien heute eine vernünftige, rationale Politik aufzubauen. Denn Serbien findet weder Zugang zu Europa - die Narbe ist noch nicht geschlossen -, noch hat es die Möglichkeit, die Ressourcenverluste - die ganze Infrastruktur ist zerbombt worden, sinnlos! - aus eigener Kraft zu lösen. Und trotzdem hat hier Europa, und ich füge hinzu, auch Amerika, in meinen Augen eine Wiedergutmachungspflicht, die eingelöst werden muß. Denn nichts wäre schlimmer, als diese schwärende Wunde, diese Amfortas-Wunde weiter schwären zu lassen. Nicht, daß sie diesmal wieder einen Kronprinzen umbringen, wie 1914. Diesmal ist es viel schlimmer: Sie würden immer ein Fremdkörper in Europa bleiben. Und das sollte verhindert werden. (Applaus.)
Helga Zepp-LaRouche: Ich meine auch, daß das Problem nur im Kontext der Neuen Weltwirtschaftsordnung gelöst werden kann, über die wir heute morgen gesprochen haben, und entweder die kommt, oder uns gnade wirklich der Allmächtige!
Daniel Buchmann, LYM/Berlin: Wir können die beiden nächsten Fragen zusammenfassen, weil sie doch ihrer Natur nach sehr ähnlich sind.
Meine Frage ist erst einmal: Wir sehen, welche Personalpolitik die Bundesregierung macht mit diesem Maria von und zu irgendwas als Wirtschaftsminister, der offensichtlich keine Ahnung von dem Job hat, in dieser Krise Wirtschaftsminister von Deutschland zu sein. Wie schätzen Sie die Fähigkeit der Institutionen in Deutschland ein, überhaupt zu lernen, die Schlüsse zu ziehen, die sie hier vorgeschlagen haben, und sind sie dazu in der Lage, ohne eine Partei wie die BüSo, mit Helga Zepp-LaRouche als Kanzlerkandidatin, dort wirklich einen Durchbruch zu erzielen? Das gleiche gilt für die Solidarité et Progrès und Jacques Cheminade in Frankreich. Denn sonst sehe ich eigentlich keine politische Kraft, die sich wirklich diese Sachen durchdacht hat. Ich habe noch niemanden getroffen oder gesehen in den Institutionen in Berlin, der das irgendwie durchdenken würde. Also wäre meine Frage: Wie sehen Sie die Chancen, daß Deutschland sich dort besinnt?
Hankel: Deutschland hat, eigentlich seit Bismarck, nie einen vernünftigen Politiker gehabt, oder kaum. (Heiterkeit, Applaus.) Aber Deutschland konnte auf eines zählen - immer: auf seine qualifizierten Beamten. Die deutschen Beamten waren - bevor ich auf die Gegenwart komme - sowohl im Kaiserreich, ja selbst in der Zeit, in der ich auch dazugehört habe, in der Nachkriegszeit in Deutschland, hochqualifizierte Leute. Und sie können das für die Nachkriegszeit ja ableiten am Erfolg des Wirtschaftswunders, aber auch am Erfolg der Krisenbekämpfung in der Schiller-Ära.
Die Minister - zwei Minister nehme ich aus, Erhard und Schiller, aber die anderen mochten noch so unqualifiziert sein, von mir aus auch unerfahren, solange sie einen Stab hochqualifizierter Beamten hatten, konnte man damit leben. Das Problem heute, und nicht erst seit heute, sondern in den letzten 20 Jahren, man kann sagen, seit der Ära Kohl, ist die Politisierung des Beamtentums.
Zu meiner Zeit war gerade mal noch der Staatssekretär - ein Staatssekretär von mehreren - ein politischer Beamter. Staatssekretäre, Abteilungsleiter wurden nach ihrer Qualifikation berufen. Ich hatte auch kein Parteibuch, als mich Schiller berief.
Das ist heute anders. Heute ist die Spitze eines Ministeriums, herab bis zum Referatsleiter, ein mehr oder minder nicht sehr erfolgreicher, politischer Mensch. Er versucht, nachdem er Fraktionsassistent oder Assistent in einer politischen Partei gewesen ist, möglichst schnell eine Planstelle in einem Ministerium zu kriegen. Es ist völlig egal, ob das das Finanzministerium ist, Wirtschaft, Gesundheit oder Verkehr.
Und das erklärt einen Großteil, erstens, der unglaublich geschluderten Gesetze, die es seitdem gegeben hat, aber auch der vielen Fehlhandlungen und vielen Fehleinschätzungen. Sie müssen sich bitte klarmachen, daß die Spitze des Finanzministeriums, der heutige Staatssekretär, noch vor wenigen Jahren den deutschen Banken den Ankauf von Schrottanleihen empfohlen hat, von strukturierten Krediten - als Mann der Bankaufsicht und der Bankenkontrolle!
Also meine Antwort auf Ihre Frage ist: Was wir in Deutschland unbedingt wieder herstellen sollten - müßten -, ist ein qualifizierter Mitarbeiterstab in den Ministerien. Daß man qualifizierte Minister bekommt, dafür kann man zwar beten, aber das ist sehr unwahrscheinlich. Die Politik ist nun einmal ein System der negativen Personalauslese. (Heiterkeit, Applaus.) Und auch mancher Professor, ich spreche da aus Erfahrung, ich würde heute nicht empfehlen, ihn in ein Ministerium zu stecken.
Aber es gibt genug qualifizierte Menschen in unserem Land. Und hier wäre die große Aufgabe des Rekrutierungsausschusses für höhere Beamte, den es gibt - ich mußte ihn auch durchlaufen -, durch die richtige Rekrutierung von Beamten der Politik wieder Substanz und Qualität zu geben. Einen anderen Weg sehe ich nicht. Dann könnte man auch mit einem früheren Rittergutsbesitzer als Wirtschaftsminister leben. (Applaus.)
Frage: Mein Name ist Stephan Hochstein, ich bin Repräsentant der BüSo in Essen, und ich habe mich in letzter Zeit mal ein bißchen mit dem Stabilitätsgesetz auseinander gesetzt. Meine Frage ist: Inwiefern wurde dieses Gesetz, da Sie ja selber mit Herrn Schiller zusammengearbeitet haben - inwiefern wurde das durch das Nationalbanksystem - also das System in den USA unter Alexander Hamilton, geprägt? Und die zweite Frage wäre: Es steht in dem Gesetz drin, daß man nur fünf Milliarden D-Mark pro Jahr ausgeben darf. Kann man das jederzeit erhöhen? Inwiefern haben wir das Recht dazu, wenn die Projekte viel, viel mehr kosten sollten?
Hankel: Natürlich ist jedes Gesetz - es gibt keine Gesetze für die Ewigkeit, jedes Gesetz ist zeitgebunden, das gilt auch für das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967. Und erst recht gilt es natürlich auch - mit Ausnahme der Seitenzahlen - für die da genannten Zahlen.
Das Verdienst dieses Gesetzes war erstens einmal das Zusammenstellen eines Instrumentenkastens für rationale Wirtschafts- und Finanzpolitik. In diesem Gesetz steht alles drin, was ein Staat braucht und was er machen muß, wenn eine Krise kommt. Das betrifft die Geldpolitik, das betrifft die Finanzpolitik und das betrifft - ganz wichtig! - auch die Einkommenspolitik. Ein wesentlicher Bestandteil des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes ist eine Institution, über die heute keiner mehr spricht, die sogenannte Konzertierte Aktion, d.h., die Einbindung der Einkommenspartner in die Ziele der Politik.
Hätten wir eine Konzertierte Aktion, wären weder die Managergehälter so abstrus in die Höhe gegangen, noch hätten die Gewerkschaften durch ihre Lohnzurückhaltung das Abdriften Deutschlands in diese Krise indirekt unterstützt. Man hätte ihnen in der Konzertierten Aktion Mut gemacht, eine andere Lohnpolitik zu betreiben. All das findet ja heute nicht mehr statt, und der Sargnagel dieses Gesetzes war einmal die Globalisierung, zum anderen aber Europa.
Denn nachdem die Geldpolitik aus diesem Gesetz herausgebrochen worden ist, ist nur noch ein Torso übrig geblieben, und ein Torso ist auch die Kreditermächtigung für fünf Milliarden. Das ist jetzt immerhin 40 Jahre her, und allein, wenn man das mit den Inflationsraten fortschreibt, müßte man mindestens eine Null mehr dahinter setzen. Und die haben wir ja heute auch: Das Konjunkturprogramm beträgt 50 Milliarden.
Der wirkliche Zukunftswert dieses Gesetzes, der würde sich heute überhaupt erst zeigen. Denn ein Staat, der aus noch so vernünftigen Gründen deficit spending betreibt, der private Investitionen durch staatliche ersetzt, der vor allen Dingen eine verkümmernde Infrastruktur wieder mit Staatskrediten aktiviert, der muß das ja auch mal zurückzahlen. Und da hat das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz bis heute zwingende Vorschriften, daß aufgenommene Kredite auch wieder getilgt werden müssen. Nicht sofort, aber in einem vernünftigen Rhythmus. Und deshalb ist es ein Jammer, daß dieses Gesetz, obwohl es noch gültig ist, sozusagen für tot erklärt wird.
Aber noch skandalöser finde ich, ist, daß die Schlußfolgerung aus diesem Gesetz - die steht nämlich in Art. 109 unserer Verfassung, unseres Grundgesetzes -, daß nicht mal diese beachtet wird. Denn in 109 GG steht, gestützt auf das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz, die Bestimmung, daß im Falle eines gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichtes - macro-economic imbalance - alle Gebietskörperschaften - Bund, Länder und Gemeinden - zusammenarbeiten müssen, um eine Krise zu beseitigen. Diese Bestimmung steht im Grundgesetz, und sie ist eigentlich bisher nicht richtig beachtet worden, eigentlich gar nicht beachtet worden.
Insofern hat die jetzige Finanzkrise doch ein Gutes bewirkt: Man weiß zum ersten Mal seit 40 Jahren wieder, daß man den Staat braucht, und wofür. Eine sich selbst überlassene Laissez-faire-Wirtschaft kann immer nur eins auf Dauer erzeugen: ungerechte Einkommensverteilung und am Ende die Krise.
Wenn dieses begriffen wird, dann glaube ich, wird nicht nur die künftige Weltwährungsordnung anders aussehen, sondern auch die künftigen Wirtschaftsordnungen der Staaten werden anders aussehen, und dann werden wir eine Renaissance des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes erleben. Davon bin ich überzeugt. (Applaus.)
Francesco Caprioli, Vorsitzender des Mittelstands-Verbands Confapi in der Region Ascoli Piceno, Italien: ... Herr Professor, Sie haben unter den Club-Med-Ländern, von denen Sie sprachen, auch Italien aufgezählt. Aber sieht es nicht so aus, daß Italien besser dasteht als andere Länder, einschließlich Deutschland? Denn es gibt eine sehr hohe Sparquote, und auch die privaten Schulden sind geringer als in anderen Ländern. Auch was die Banken angeht: Unsere Banken scheinen momentan stabil zu sein, wir haben bisher unseren Banken noch kein Geld geben müssen. Soweit ich weiß, hat Deutschland seine Banken in letzter Zeit eine Menge Geld gegeben. Außerdem: Wäre es nicht besser, sich auf die Zusammenarbeit zwischen den Ländern zu konzentrieren, anstatt uns zu spalten zwischen denen, die gut und stark sind, und denen, die schwach sind?
Hankel: Wenn ich Italiener wäre, würde ich mein Land auch verteidigen. (Heiterkeit.)
Aber einiges an dem Bild, das Sie hier gemalt haben, ist nicht richtig. Die Staatsschuld liegt in Italien bei über 100% des Bruttoinlandsproduktes. Die Auslandschulden Italiens sind ein Vielfaches der deutschen, das kann ich Ihnen nicht in einer Summe sagen, aber ich muß nur die Defizite, die Leistungsbilanzdefizite Ihrer Volkswirtschaften in den letzten 10 Jahren addieren, und dann komme ich zu phantastischen Summen. Deutschland hatte in dieser Zeit nur Überschüsse gehabt.
Das heißt also, die zwei strategischen Größen in dieser Krise - Staatsschuld und Privatschuld - sind bei Ihnen größer, viel größer als in Deutschland. Und wenn bei Ihnen der Eindruck ist, es sei alles viel besser, dann sehen Sie, glaube ich, nicht aufs ganze Italien, sondern mehr auf das Italien nördlich von Rom. Südlich von Rom könnte es schon anders aussehen.
Also in einem Satz: Die makroökonomischen Strukturen in Italien sind kein bißchen gesund. Sie müssen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten mit der Bedienung von Staatsschulden, die einen Großteil des Haushalts auffressen, und der Bedienung der Auslandsschulden Ressourcen verwenden, die nicht im Inland zur Verfügung stehen. Sie haben eine Durststrecke vor sich.
Und der andere Punkt, daß italienische Banken jetzt besser dastehen als andere, deutsche, englische oder amerikanische: das ist richtig. Das ist eine der Ironien dieser Krise, daß da, wo „Underbanking“ besteht und bestanden hat, natürlich auch die Banken nicht so in die Krise geraten sind.
Denn unsere Krise ist eine des „Overbanking“. Bei uns haben Banken nicht nur alles gedurft, sie haben auch einen viel zu großen, unechten Anteil am Bruttosozialprodukt. Allein in den Vereinigten Staaten hat sich der Anteil der Finanzwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt in den letzten 12 Jahren fast verdreifacht, er liegt bei knapp 9%, das ist viel zu viel und entspricht überhaupt nicht der realen Bedeutung dieses Sektors. In England sind die Dinge ähnlich gelaufen, in Deutschland nicht ganz so schlimm, aber auch.
In Italien nicht, aber sie haben es besser versteckt. Die größte Bank in dieser Krise, HRE, hat auch etwas mit einem Shareholder aus Italien zu tun. D.h. also, wir können heute die Krisen großer Banken nicht nur national zuordnen, das hat auch etwas damit zu tun, wie die Shareholder-Struktur ist. Also ich glaube nicht, daß die Chancen Italiens, in den nächsten Jahren aus dieser Krise herauszukommen, besser sind als in Deutschland.
Und ich habe durchaus Verständnis - ansonsten fehlt es mir - für Ihren Premierminister, der ja immer wieder mit dem Gedanken spielt, aus dem Euro auszutreten. Denn das würde bedeuten, daß Italien wieder das machen kann, was es vor dem Euro gekonnt hat: eine aktive Strukturpolitik für den Mezzogiorno. Und die ist nötig, denn sonst gibt es bald nicht ein Italien, sondern zwei, und dann müssen Sie sich entscheiden, auf welches Italien Sie stolzer sind. (Applaus.)
Lyndon LaRouche: Einen Punkt bei der Formulierung dieser Frage, der zu korrigieren ist, ist, daß die Leistung einer Volkswirtschaft nicht auf den Zahlen des Verkaufs, der Investitionen usw. beruht. Das Wichtige an einer Volkswirtschaft ist ihr Potential.
Nehmen wir z.B. den Fall der deutschen Bevölkerung und anderer Bevölkerungen, und betrachten wir den Teil des Potentials, der nicht genutzt wird, oder den Teil des menschlichen Potentials, der nicht entwickelt ist. Und der Hinweis des Professors auf den Mezzogiorno ist äußerst relevant. Bis Mitte der sechziger Jahre, sogar bis in die siebziger Jahre, wurde gar nicht daran gedacht, den Mezzogiorno wirklich zu entwickeln.
Betrachten Sie auch Deutschland, dann werden Sie Teile der deutschen Bevölkerung und Gebiete finden, wie die frühere Ostzone, die geplündert wurden.
Man muß also das, was man nicht getan hat, um die Wirtschaft zu entwickeln, als Kosten betrachten, ebenso wie das, was man getan und bezahlt hat. Das eigentliche Maß sind die Produktivkräfte der Arbeit, pro Kopf und pro Quadratkilometer. Es muß ein physischer Maßstab sein, kein Geld-Maßstab. Man muß das Geld daran messen, was es als physischen Wert repräsentiert. Der physische Wert ist nicht bloß eine physische Eigenschaft von heute, sondern das physische Potential eines Menschen mit höherer Produktivität von morgen.
Und in diesem Sinne hat Deutschland momentan ein höheres Potential, weil es eine Arbeitskraft hat, in der es immer noch qualifizierte Reste gibt, die wiederbelebt werden können und mindestens in der Lage sind, zu beraten, zu helfen, während andere Länder gar nicht entwickelt wurden, wie im Fall des Mezzogiorno.
Italiens Problem - Italiens Wirtschaftsproblem, ist vor allem die Frage des Mezzogiorno. Was man zu einer Nation gemacht hat, in Italien, war Norditalien - ein Teil Norditaliens. Italien wurde niemals als Ganzes entwickelt und es gab auch nie die Absicht, es zu entwickeln.
Deshalb hat Deutschland ein größeres Potential. Was in Deutschland vom Ostblock getan wurde, der es geplündert und ruiniert hat, anstatt es zu entwickeln - das war auch Teil des Maastricht-Abkommens -, das hat hier das Potential zerstört.
Wenn wir diese Dinge betrachten, müssen wir in diesen Volkswirtschaften nicht nur auf das Geld achten. Die Frage des Geldes ist ein Instrument der Politik, nicht der Wert der Politik. Und man muß die physischen Werte betrachten, und man muß das zukünftige Potential betrachten, das der bestehenden Lage innewohnt, und das, wovon man meint, daß es produziert wird.
Ich wollte das nur hinzufügen. Betrachten Sie diese Frage nicht bloß als eine Frage von Geldkonten, betrachten Sie das Potential und betrachten Sie die Zukunft. Wohin gehen wir? Wir wissen nicht, was und wo wir sind, wenn es nicht das betrifft, wo wir hingehen. (Applaus.)
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