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Aus der Neuen Solidarität Nr. 48/2008

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Mut und Würde

Am 26. November 1958 traf der damalige französische Ministerpräsident Charles de Gaulle in Bad Kreuznach mit Bundeskanzler Konrad Adenauer zusammen.

Jahrhunderte der Kriege hatten das Verhältnis zwischen Deutschen und Franzosen geprägt. Obwohl es immer wieder eine fruchtbare Zusammenarbeit Einzelner gab, wie Gottfried Wilhelm Leibniz im 18., Alexander von Humboldt, Friedrich List und Heinrich Heine im 19. Jahrhundert, um hier nur einige zu nennen, haben die blutigen Erfahrungen der Kriege maßgeblich die Einstellung der Völker bestimmt. Die Weltkriege hatten noch tiefere Gräben zwischen den Nachbarn aufreißen lassen. Aber gerade weil wir Nachbarn sind, mußte ein Ausweg aus dem Teufelskreis von Mißtrauen und Anfeindungen gefunden werden, sollte ein friedliches und prosperierendes Europa nach 1945 erstehen. Und so war es ein Glücksfall für beide Länder, daß sie über Staatsführer verfügten, die im entscheidenden Augenblick, Vorurteile überwinden und aufeinander zugehen konnten.

Obwohl in den unmittelbaren Nachkriegsjahren zwischen Adenauer und Persönlichkeiten aus dem Umfeld von de Gaulle Gespräche geführt wurden, war es nie zu einem persönlichen Treffen mit dem General gekommen. Zu verschieden waren noch die Einstellungen der beiden. De Gaulles Verhältnis zu Deutschland war geprägt von seiner langen Gefangenschaft im ersten Weltkrieg (u.a. in Ingolstadt) und dem Kampf für die Befreiung Frankreichs von den deutschen Besatzern im zweiten. Einerseits bewunderte er den Gewerbefleiß und Aufbauwillen der Deutschen, andererseits fürchtete er die damit verbundene, auch militärische, Stärke. Deshalb schwebte ihm ein loser Staatenbund, ein schwaches Deutschland ohne Schwerindustrie, vor, daß nie wieder eine Gefahr für Frankreich darstellen könnte. Gleichzeitig wollte er Frankreich als „große Nation“ gleichberechtigt neben den Weltmächten USA und Sowjetunion sehen.

1946 als Regierungschef der ersten provisorischen Regierung des befreiten Frankreichs zurückgetreten, da er seine Verfassungsvorstellungen für die IV. Republik nicht durchsetzen konnte, war de Gaulle nach zwölf Jahren im Juni 1958 zum Ministerpräsidenten ernannt worden, als alle vorherigen Regierungen an der wirtschaftlichen Lage und dem eskalierenden Konflikt in Algerien gescheitert waren und Frankreichs Existenz von einem Militärputsch und  Bürgerkrieg bedroht wurde. Binnen eines halben Jahres schuf er eine neue Verfassung, die V. Republik, eine Finanz- und Währungsreform, die Frankreich wieder auf Wachstumskurs brachte, und setzte in den persönlichen Gesprächen mit Adenauer neue Akzente in der Zusammenarbeit mit Deutschland.

Für Adenauer lagen die Dinge etwas anders. Sein Schwergewicht lag einerseits auf der eindeutigen Westbindung Deutschlands, die vor allem eine Bindung an die USA war, und einem vorsichtigen Taktieren, um Deutschland Schritt für Schritt wieder einen gleichberechtigten Status in der Völkergemeinschaft zu verschaffen. So vermied er Gesten gegenüber Frankreich, die in Washington auf Mißverständnis stoßen könnten, zumal de Gaulle für seine Abneigung gegen Aspekte der NATO, die die Eigenständigkeit der französischen Armee in Frage stellten, bekannt war. Die ersten Annäherungen an Frankreich fanden deshalb auf europäischer Ebene statt, wie mit der Gründung der Montan-Union (1952) und der EWG (Römische Verträge, 1957).

Wie Adenauer in seinen Erinnerungen zugibt, war für ihn, wie auch für die deutsche Öffentlichkeit, die Ernennung de Gaulles ein Schock. Verband man mit ihm doch Äußerungen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit, die u.a. vor einem „vierten Reich“ warnten, sollte Deutschland je wieder auf die Beine kommen. Was nicht bekannt war, sind die persönlichen Eindrücke de Gaulles bei seinen Besuchen in den zerstörten Städten der französischen Besatzungszone. Das Leid der Menschen ließ ihn nicht kalt, weder in Frankreich noch in Deutschland oder später in Algerien.

Aber es gab auch hoffnungsvollere Zeichen, wie die Ernennung des französischen Botschafters in Bonn, Couve de Murville, zum Außenminister, was eine Kontinuität in den deutsch-französischen Beziehungen versprach. Dieser hatte schon früher versucht, Adenauer zu einem Treffen mit de Gaulle zu bewegen, was der Bundeskanzler aber als noch nicht opportun abgelehnt hatte.

Im Sommer 1958 trugen die Bemühungen endlich Früchte, und de Gaulle tat etwas, das er noch nie gemacht hatte und nie wiederholte: Er lud einen Staatsgast, den deutschen Bundeskanzler, in sein Privathaus in Colombey-les-deux-Églises ein. Diese erste persönliche Begegnung am 14./15. September 1958 brach das Eis zwischen den beiden alten Herren, de Gaulle war damals 67, Adenauer schon 82 Jahre alt. Aber auch der Zeitpunkt beweist die Bedeutung, die de Gaulle dieser Begegnung zumessen mochte. Denn so kurz vor dem Referendum über die neue Verfassung, war er im ganzen Land und auch in den Kolonien unterwegs, um für deren Annahme zu werben. Die Volksabstimmung fand am 28. September statt. Die Verfassung wurde mit überwältigender Mehrheit bei hoher Wahlbeteiligung angenommen. Nach den Parlamentswahlen im Oktober kam es dann Ende November zu de Gaulles Gegenbesuch in Bad Kreuznach. Mit diesen beiden Treffen begann eine Ära der fruchtbaren Zusammenarbeit, die ihren ersten Höhepunkt mit Unterzeichnung des Elysee-Vertrages am 22. Januar 1963 finden sollte.

Hervorzuheben ist der persönliche Mut, den beide Staatsmänner mit ihrem Handeln, das sie als sowohl prinzipienfest als auch geistig beweglich und kreativ auswies, demonstrierten, und der sie in schwierigen Momenten zu Lösungen gelangen ließ, die der Wohlfahrt ihrer Nationen dienten. Die Idee der Bewahrung bzw. Wiederherstellung der Würde der Nation, wie sie von ihnen auch persönlich als deren  erste Repräsentanten verkörpert wurde, war beiden zu eigen und war gleichermaßen Herausforderung als auch Quelle der Kreativität. Beiden wurde der Hang zu eigenmächtigem, wenn nicht sogar autoritärem Handeln vorgeworfen. Aber bei den grundsätzlichen Fragen, ob über die Verfassung oder die Unabhängigkeit Algeriens, hat de Gaulle immer das Volk entscheiden lassen. Über soviel Demokratie würden sich die Völker Europas heute freuen.

Klaus Fimmen

Lesen Sie hierzu bitte auch:
40 Jahre Elyséevertrag: ein Meilenstein in der Geschichte Europas
- Neue Solidarität Nr. 4/2003

 

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