[an error occurred while processing this directive] |
|
|
| Kernthemen | Suchen | Abonnieren | Leserforum |
|
Aus der Neuen Solidarität Nr. 44/2008 |
|
|
|
Ein Bericht des „Basement-Teams“ der LaRouche-Jugendbewegung, das daran arbeitet, die wesentlichen Fortschritte, die von den größten Wissenschaftlern in der Geschichte der Wissenschaft gemacht wurden, nachzuvollziehen und sch ihre Denkmethoden anzueignen.
Als wir uns kürzlich darauf vorbereiteten, eine Schrift von W.I. Wernadskij über die historische Evolution des Konzepts physikalischer Raumzeit (d.h. der Vorstellung, daß Raum und Zeit als solche nur als Schatten des physikalischen Prozesses existieren, der in ihnen stattzufinden scheint) zu übersetzen, stießen wir auf einen interessanten Verweis, der dabei helfen könnte, weiteres Licht auf die ontologische Bedeutung des Potentialbegriffs zu werfen, wie er von Gauß, Dirichlet, Weber und Riemann untersucht wurde. Vor allem eröffneten sich dadurch Wege, auf denen sich der gleiche konzeptionelle Ansatz weiterverfolgen läßt, den Riemann in seinen sogenannten philosophischen Fragmenten wählte. Die Passage aus einer von Wernadskij 1931 geschriebenen Rede mit dem Titel „Das Problem der Zeit in der zeitgenössischen Wissenschaft“ lautet folgendermaßen:
„Christian von Ehrenfels, ein derzeit in Prag lebender Psychologe, hat auf Grundlage von Untersuchungen über das psychologische Leben des Individuums eine in diesem Bereich auftretende gesetzmäßige, räumliche Erscheinungsform von Phänomenen aufgezeigt, die lange außerhalb wissenschaftlicher Arbeit standen. Er hat die Notwendigkeit gezeigt, bestimmte geometrische Gestalten oder Strukturen für den sichtbaren Raum, für Tonmelodien und andere, ähnliche Erscheinungsarten zu erkennen, die mit der Struktur des räumlich und zeitlich feststellbaren kognitiven Apparates in Verbindung stehen. Diese Begriffe psychologischer Gestalten wurden von dem Berliner Professor Wolfgang Köhler auf Erscheinungen der Tierpsychologie übertragen. Sie führten zu einem neuen wissenschaftlichen Ausdruck physikalischen Raums und zu einer vollkommen neuen Richtung in der Philosophie, die sich mit den Gesetzen der Erkenntnis befaßt - der ,Gestaltpsychologie’.“
Dieser Verweis Wernadskijs war aus mehreren Gründen interessant. Erstens, weil die These seines Aufsatzes bis dahin belegen wollte, daß das Konzept einer einheitlichen physikalischen Raumzeit nicht auf Einsteins allgemeine Relativität beschränkt sei. Bereits die alten Griechen, meinte er, hätten diese Vorstellung gehabt, und erst mit Descartes und dann Newton sei der Irrtum von absolutem Raum und absoluter Zeit als unabhängige, selbstevidente Einheiten eingeführt worden. Nach Wernadskijs Auffassung seien es die physikalischen Experimentalisten - in dieser Rede zitiert er besonders die experimentelle Arbeit Pasteurs und Faradays - gewesen, die in der jüngeren Zeit die Notwendigkeit forciert hätten, mit dem Newtonschen Konzept des leeren Raumes zu brechen. Wegen ihrer Beschäftigung mit Symmetrie und dem Goldenen Schnitt verweist er auf Kepler und Leonardo da Vinci als konzeptionelle Vorläufer dieses Bruchs, doch unterläßt er es merkwürdigerweise, Riemann in diesem Zusammenhang zu erwähnen. Statt dessen zitiert er den Mathematiker William Clifford (der für die erste englische Übersetzung von Riemanns Habilitationsschrift verantwortlich war), und in diesem Kontext macht er den obigen Verweis auf Ehrenfels, Köhler und die Gestaltpsychologie. Die Idee, daß die Gestaltpsychologie eine Wiederbelebung des Konzepts der einheitlichen physikalischen Raumzeit darstellte, war mir angesichts meines geringen Wissens über das Thema neu. Der Umstand, daß Wernadskij Köhlers Arbeiten als die eines Zeitgenossen verfolgte, erregte ebenfalls mein Interesse, und so beschloß ich, Wernadskijs Verweis weiterzuverfolgen.
Ich war froh festzustellen, daß Köhlers Arbeit über Tierpsychologie, wie Wernadskij in seinem Zitat impliziert, ein zweitrangiges Projekt war, das sich nur aus dem Umstand ergeben hatte, daß Köhler wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs sieben Jahre lang auf der Anthropoidenstation in Teneriffa festsaß, und ihm deshalb in all diesen Jahren nur Schimpansen als Versuchstiere zur Verfügung standen. Seine ursprünglichen und auch späteren Untersuchungen bezogen sich auf den menschlichen Denkprozeß und insbesondere die klassische Komposition (er war für seine Abneigung gegen Wagners bekannt).
Aus diesen Forschungen leitete er seinen Gestaltbegriff ab - den Umstand, daß der menschliche Geist ausschließlich auf der Grundlage ganzheitlicher Ideen operiert, die nicht auf ihre Teile reduzierbar sind. Die Organisation der Teile ist selbst ein eigenständiges, von den Teilen unabhängiges Prinzip. Hierin steckte eine Wiederbelebung der Leibnizschen Monade in moderner Form und letztlich auch eine Wiederbelebung von Riemanns, auf Herbart zurückgehendes Konzept der Geistesmasse, wie er es in seinen philosophischen Fragmenten behandelt.
Das allein wäre bereits interessant genug gewesen, aber das nächste, was meine Neugier noch beträchtlich steigerte, war eine Rede Köhlers von 1959 mit dem Titel „Gestaltpsychologie heute“, in der er auf Diskussionen mit Max Planck verwies. Der Verweis steht im Zusammenhang mit seiner Kritik an Physikern, die gerne mit ihren mathematischen Formeln falsch umgehen.
„Liest man die Formeln des Physikers, mag man diesen oder jenen Aspekt ihres Inhalts betonen. Dem besonderen Aspekt der Formeln, an denen die Gestaltpsychologen interessiert waren, wurde jahrzehntelang wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Bei der Anwendung der Formeln ist nie ein Fehler gemacht worden, denn was uns jetzt faszinierte, war in mathematischer Form stets vorhanden gewesen. Alle Berechnungen in der Physik waren somit richtig herausgekommen. Es macht aber einen Unterschied, ob man explizit macht, was eine Formel impliziert, oder ob man sie lediglich als verläßliches Werkzeug benutzt. Wir hatten deshalb gute Gründe, von dem, was wir fanden, überrascht zu sein; und wir waren natürlich freudig erregt, als die neue Auslegung der Formeln uns sagte, daß Organisation in einigen Teilen der Physik genauso offensichtlich ist wie in der Psychologie.
Im übrigen waren andere nicht weniger an dieser ,neuen Auslegung’ interessiert als wir. Diese anderen waren herausragende Physiker. Max Planck sagte einmal zu mir, er erwarte von unserem Ansatz die Klärung einer schwierigen Frage, die sich gerade in der Quantenphysik ergeben hätte, wenn nicht sogar des Quantenbegriffs selbst.“
Damit eröffnete sich erneut eine Vielzahl interessanter Spuren, die sich weiterzuverfolgen lohnten. Es gibt nur vier einzelne Briefe zwischen Köhler und Planck, denn ihre meisten Auseinandersetzungen erfolgten im persönlichen Gespräch, als Köhler bei Planck in Berlin studierte; deswegen ist es schwierig, Unterlagen zu finden, die den genauen Inhalt ihrer Diskussionen über diese Frage enthalten. Doch angesichts der Arbeit, die wir als Bewegung über Keplers Weltenharmonie bereits geleistet haben, dürfte es uns nicht schwerfallen, den Kern jener Auseinandersetzungen zu erahnen, wie ich weiter unten darstellen werde.
Zunächst jedoch mehr über die Bedeutung von Köhlers Arbeiten zu dem, was wir derzeit bei Riemann herausfinden wollen. In einer Fußnote in seinem Buch Dynamische Zusammenhänge in der Psychologie von 1939 schreibt Köhler im Zusammenhang mit der Frage, welche Bereiche der Physik seiner Meinung nach für Untersuchungen in der Gestaltpsychologie am fruchtbarsten wären:
„Abgesehen von der physikalischen Chemie und Elektrochemie ist die wichtigste Disziplin, die in die Liste aufgenommen werden müßte, die Potentialtheorie, die Theorie makroskopischer Selbstverteilungen. Leider ist diesem Feld die Vernachlässigung gemein, der viele Teile der klassischen Physik anheimgefallen sind, seit sich die Atomphysik in den Vordergrund geschoben hat.“
Dieser Verweis war sicher eine Überraschung, denn ich hatte nicht erwartet, daß sich dieses Nebenprojekt mit der Arbeit überschneiden würde, mit der wir uns derzeit im Basement befassen: Untersuchungen über Riemanns Beschäftigung mit der Potentialtheorie, um so ein besseres Verständnis seiner Anwendung des Dirichlet-Prinzips auf die Riemannflächen und die höheren transzendentalen, elliptischen und Abelschen Funktionen zu erhalten. Plötzlich wurde ein Aspekt der politischen Bedeutung der Behandlung des Potentials durch Riemann, Dirichlet, Gauß und Weber deutlich. Um dies zu erläutern, muß einiges aus der Geschichte dieses Konzepts dargestellt werden.
Der mathematische Ausdruck, mit dem gemeinhin eine Potentialfunktion bezeichnet wird (obwohl ihr dieser Name erst später von Gauß gegeben wurde), und der Differentialausdruck, der heute nach Laplace benannt wird, entstanden im Rahmen von Lagranges und Laplaces Versuchen, das mathematische Durcheinander zu entwirren, das sie selbst angerichtet hatten, als sie Newtons quadratisches Entfernungsgesetz auf das reale Universum anzuwenden versuchten - das Dreikörperproblem der planetaren Störungstheorie. Lagrange und Laplace gestanden dem Potential jedoch keine ontologische Bedeutung zu, als sie das Entfernungsgesetz zu rechtfertigen suchten, sondern behandelten es statt dessen nur als Kunstgriff - als nützliches Werkzeug, um ein schwieriges analytisches Problem zu lösen. Daß dieser mathematische Ausdruck jedoch nur der mathematische Schatten eines Prinzips war, erkannten Gauß, Weber, Dirichlet und Riemann. Die wirkliche ontologische Bedeutung des Potentials geht auf Leibniz’ Konzept der Dynamik zurück (und ist damit eigentlich identisch).
Der Umstand, daß man sich sämtliche Prozesse im Universum als von universellen Prinzipien beherrscht vorstellen muß, die nur als Gesamtheit existieren und nicht die Summe von Einzelteilen sind, drückt sich in ihrer physischen Erscheinung durch die Tatsache aus,
1. daß universelle Prinzipien, die selbst zwar nicht an jedem spezifischen Punkt in Raum oder Zeit vorkommen, existieren, als wenn sie außerhalb, aber mit jedem Punkt und jedem Moment in einem physikalischen Prozeß in Berührung stünden, ganz gleichgültig, wie klein dieser Prozeß unterteilt wird (das ontologische Infinitesimal von Leibniz),1 sowie darin,
2. daß der zukünftige Zustand eines Prozesses seine Gegenwart bestimmt (d.h. eine Absicht existiert als bestimmendes Prinzip im Universum).
Diese beiden Tatsachen zusammen liefern uns einen Begriff der ontologischen Bedeutung des Potentials im Sinne der Leibnizschen Dynamik. Um genau diesen Potentialbegriff zu attackieren, wurde Isaac Newton geschaffen - was auch den berühmten Satz erklärt, den er in die Notizen seiner Principia einfügte: „Ich stelle keine Hypothesen auf!“. Und in der Einleitung zu diesem Buch stellt auch Cotes fest: „Der Akt der Hypothese ist unmöglich, denn im Universum sind nur Fakten, keine Vernunftgründe wißbar.“2
Es ist bedeutsam, daß sich Wernadskij in der Rede, mit der wir diesen Aufsatz begannen, genau so über Newton äußert, insbesondere dazu, daß Newtons populär aufbereitete Ansicht ein Kunstprodukt war, das von Cotes und Clark in diese Ausgabe der Principia aufgenommen wurde. Er erklärt:
„Es [das Konzept der Gravitationskraft] wurde 1713 im Vorwort der zweiten Auflage der ,Philosophiae Naturalis Principia’ in das wissenschaftliche Denken eingeführt, einem Vorwort, das von Cambridge-Professor Roger Cotes, dem Herausgeber der zweiten Auflage, geschrieben wurde und Begriffe enthält, die logisch mit den mathematischen Ergebnissen Newtons in Verbindung gebracht werden konnten.
Newton schätzte Cotes, der bald jung sterben sollte, außerordentlich, doch hat er, zumindest offiziell, dessen Vorwort nie gelesen.
Ich kann hier nicht auf eine Erläuterung eingehen, in welcher Beziehung Newton zum Erscheinen einer Idee im Vorwort seines Werks stand, der er immer widersprochen hat. Die Idee universeller Gravitation jedoch, die dem gesamten wissenschaftlichen Denken der folgenden zwei Jahrhunderte ihren Stempel aufgedrückt hat, wurde als Ergebnis der Leistungen Newtons - als eine Newtonsche Idee - akzeptiert.“3
Der Ansatz von Gauß, Dirichlet, Weber und Riemann stellte daher eine Gegenreaktion auf diesen Versuch dar, alle physikalischen Phänomene auf Anziehung und Abstoßung kleiner harter Kugeln zu reduzieren.
Wir selbst im derzeitigen Basement-Team interessierten uns ursprünglich für Riemanns Arbeiten über das Potential, weil er dieses Thema in seinen philosophischen Fragmenten behandelte. Dort zieht er selbst eine Analogie zwischen den Denkprozessen und den Phänomenen der Schwerkraft, der Elektrizität und des Magnetismus - den drei Phänomenen, die mathematisch durch Kräfte dargestellt werden können, die mit einer dem Quadrat der Entfernung umgekehrt proportionalen Stärke wirken. Im eben dargestellten Zusammenhang erhält dieser Ansatz Riemanns zusammen mit den Fragmenten insgesamt eine Bedeutung, wie sie Lyndon LaRouche wiederholt hervorgehoben hat - daß der Potentialbegriff ontologisch verstanden kein mathematisches Prinzip ist, obgleich er bei der Anwendung auf physikalische Prozesse deutliche mathematische Folgerungen hat. Es ist vielmehr notwendig, alle drei Phasenräume des physikalischen Universums, vor allem den kognitiven und den biotischen, als unabhängige Prinzipien zu untersuchen, von denen die abiotischen Erscheinungen von Elektrizität, Magnetismus und Schwerkraft einfach Unterprozesse sind. Die Erkenntnisfähigkeit beherrscht die Welt der Erscheinungen, und Erkenntnisfähigkeit läßt sich am besten durch eine direkte Untersuchung des schöpferischen Prozesses in der Wissenschaft und der Übermittlung profunder Ideen in der klassischen Kunst studieren.
Es ist wichtig anzumerken, daß das genau Riemanns Ansatz in seinen sogenannten philosophischen Fragmenten gewesen ist. Untersucht man die Originalmanuskripte dieser Fragmente, ergibt sich, daß deren Einordnung in unterschiedliche Kategorien von Heinrich Webers Ausgabe der Gesammelten Mathematischen Werke nur durch die Entfernung bestimmter wichtiger Absätze (vielleicht zufällig, vielleicht absichtlich) erreicht wurde, die zeigen, daß Riemanns Beschäftigung mit den Geistesmassen, seine Untersuchung des Potentials und seine Kritik an Newton alle Teile desselben Denkprozesses gewesen sind. Eine Fassung der Fragmente, die diese fehlenden Absätze enthalten, soll in Kürze veröffentlicht werden.
Bis dahin sollte uns eine Untersuchung der geistigen und sozialen Umgebung Riemanns ein klareres Bild jener Einflüsse liefern, die auf dem Bereich menschlicher Psychologie und Kreativität auf Riemann einwirkten. Diese Einflüsse, so äußerte sich Riemann in den philosophischen Fragmenten, hätten den Anstoß zu der Methode gegeben, mit der er Fragen der Naturwissenschaft, der menschlichen Kreativität und der höheren Transzendentalen angegangen sei. Erscheinungen der Gravitation, der Elektrizität und des Magnetismus beschreibt er in den Fragmenten so:
„Das Denken ist ein Prozeß im Inneren der ponderablen Materie. Unsere äußeren Erfahrungen, die Tatsachen unserer äußeren Wahrnehmung, welche in den Prozessen im Inneren der ponderablen oder gravitierenden Materie ihre Erklärung finden müssen, sind
1) die allgemeine Gravitation
2) die allgemeinen Bewegungsgesetze.
Jedem Denkakt liegt etwas Bleibendes zu Grunde, welches sich aber nur bei besonderen Anlässen durch die Erinnerung als solches Kund gibt, ohne einen dauernden Einfluß auf die Erscheinungen auszuüben. Es tritt also mit jedem Denkakt etwas Bleibendes in unsere Seele ein, etwas, das auf die Erscheinungen keinen dauernden Einfluß ausübt.
Andererseits lassen sich unsere äußeren Erfahrungen über die ponderable Materie erklären, wenn man annimmt, daß den ganzen unendlichen Raum ein gleichartiger Stoff erfüllt, welcher fortwährend in die ponderable Materie einströmt und dort verschwindet.“
Uns ist diese Methode - die Prinzipien menschlicher Kreativität als primär zu betrachten - bereits aus unserer Beschäftigung mit Keplers Weltharmonik bekannt. Die dortige Erforschung der Harmonie, wie sie in der Organisation des Sonnensystems zum Ausdruck kommt, ist nur möglich, wenn die dem Menschen eigene Vorstellung von Schönheit als selbstevidente, experimentell gesicherte Tatsache behandelt wird, unabhängig von den Erscheinungen des Unbelebten, die deren Ausdruck zu jeder Zeit vermitteln. Wie Kepler zeigt, läßt sich das Konzept von Harmonie, wie es sich im Sonnensystem ausdrückt - auch wenn es sich mit Ausdrucksformen in der Geometrie und anderswo deckt - weder aus diesen ableiten noch auf diese reduzieren. Dieses Konzept der Harmonie, welches sich nicht außerhalb einer Erforschung des schöpferischen menschlichen Individuums untersuchen läßt, wird dann direkt als das Prinzip angewendet, welches die Organisation des Sonnensystems insgesamt bestimmt.
Daraus ist ersichtlich, daß das Konzept des Potentials als einheitlicher Prozeß, der die offenbaren Kräfte der universellen Gravitation steuert, im wissenschaftlichen Werk Johannes Keplers bereits von Anfang an als ursprüngliche Einheit angelegt war. Dieser methodologische Ansatz setzte sich in Leibniz’ Arbeiten über die Dynamik und im Schaffen von Gauß, Dirichlet, Weber und Riemann fort, die damit den Schaden zu beheben versuchten, den Newtons religiöses Dogma angerichtet hatte.
In diesem Zusammenhang möchte ich gerne ein längeres Zitat von Wolfgang Köhler einfügen, das trotz bestimmter Mängel in anderer Hinsicht einige Einsichten in den politischen Kampf um die Wissenschaftsmethode bietet, in welchen Köhler und Planck während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verwickelt waren. Außerdem eröffnen sich dadurch vielleicht neue Wege, um die ontologische Bedeutung von Dirichlets Prinzip und des Potentialbegriffs weiter zu untersuchen. Köhler schreibt in Werte und Tatsachen (1938):
„Die Experimentalphysik ist nicht besonders am Studium solcher kohärenten makroskopischen Zustände interessiert. Da die Bedingungen, unter denen sich Selbstverteilungen entwickeln, beliebig variiert werden können, ist eine unendliche Zahl makroskopischer Zustände in jeder Klasse, der hydrodynamischen, der elektrischen usw. möglich. Die Untersuchung einer Anzahl solcher Einzelfälle würde wenig zu unserer Erkenntnis der grundlegenden physikalischen Tatsachen beitragen.
Und was könnte ein Experimentator in dieser Richtung leisten? Um die Verteilung einer gleichförmigen Strömung innerhalb eines gegebenen Volumens zu erkennen, müßte er die Geschwindigkeit und die Richtung des Fließens an möglichst vielen Stellen messen - eine höchst langwierige und mühsame Beschäftigung. Zudem würde diese Aufgabe sehr unerfreulich sein, weil, wenigsten in vielen Fällen, der bloße Versuch, das örtliche Fließen zu messen, zu einer Beeinflussung der untersuchten Verteilung selbst führen würde: die Annäherung und die Einschaltung einer Meßvorrichtung würde im Allgemeinen bereits die Einführung neuer Bedingungen bedeuten, die das makroskopische Geschehen mit einer Änderung seiner Verteilung beantworten müßte.
In der Überzeugung, daß auf diesem Gebiet keine wesentlich neuen Tatsachen zu entdecken sind, wird der Physiker solchen makroskopischen Zuständen auch wenig Zeit in seinem Unterricht widmen. Daher kann man sehr viel von praktischer Physik lernen, ohne jemals viel von diesem Abschnitt der Naturwissenschaft, den makroskopischen Verteilungen, zu hören.
Tatsächlich ist die Untersuchung von Selbstverteilungen in zusammenhängenden Medien jetzt mehr eine Aufgabe für Mathematiker als für Physiker geworden. Die allgemeine Regel, welcher solche makroskopischen Zustände folgen, läßt sich leicht in mathematischer Sprache formulieren. Eine einzige Differentialgleichung, die nach Laplace benannt ist, ist auf sehr viele Fälle anwendbar. Aber leider drückt diese Gleichung nicht viel mehr aus, als daß in einem stationären Zustand die Kräfte und das Strömen an irgendeiner Stelle den stationären Gesamtzustand nicht ändern. Gerade welche Verteilung als Ganze in einem gegebenen Fall zu dieser Bedingung passen würde, das ist die Frage, die u.a. der Mathematiker zu beantworten sucht. Für diesen Zweck steht ihm aber kein einfaches und direktes mathematisches Verfahren zur Verfügung.
Während des 19. Jahrhunderts beschäftigte das Auffinden von Lösungen selbst für verhältnismäßig einfache Fälle einige der größten Mathematiker. Das Dirichlet-Problem und das Neumann-Problem, Formulierungen solcher mathematischen Aufgaben für zwei etwas verschiedene Arten von Systembedingungen, sind bekannt für ihre gewaltigen Schwierigkeiten...
Dies ist auch ein Zweig der Physik, der anderen Wissenschaftlern, Philosophen und dem allgemeinen Publikum nicht durch populäre Bücher bekannt gemacht wird. Wäre es anders, so würde der Glaube nicht so allgemein sein, daß die Physik unter allen Umständen eine ,analytische’ Wissenschaft sei, in der die Eigenschaften ,verwickelter’ ausgedehnter Tatbestände aus den Eigenschaften unabhängiger lokaler Elemente abgeleitet werden. Der Satz, daß Analyse wenigsten in diesem Sinne nicht auf makroskopische dynamische Zustände anwendbar ist, wird durch die schwierige Lage der Mathematiker bestätigt, die eine stationäre Verteilung als Ganze finden müssen, bevor sie uns sagen können, was das stationäre Geschehen an einer einzelnen Stelle des betrachteten Systems ist.“
Es ist jetzt unsere Aufgabe, diesen konzeptionellen Ansatz an Wissenschaft und Kunst fortzuführen. Die Vorstellung des menschlichen Geistes - Kognition - als wirksames, unabhängiges Organisationsprinzip im Universum ist verloren gegangen und wurde häufig sogar vorsätzlich verdrängt, was die Menschheit in eine Reihe konzeptioneller Einbahnstraßen geführt hat. Die heutige Wissenschaft ist zwischen geistlosen statistischen Modellen und einem gleichsam geistlosen Determinismus hin- und hergerissen, die Kunst ist auf den einfachsten Ausdruck niedriger Gefühlszustände abgesunken, und in der Gesellschaft sind beide diese Desaster zur größten Abscheulichkeit überhaupt verschmolzen: zu einem Wirtschaftssystem, in dem sich stumpfsinnige Statistik mit der irrationalen Herrschaft völlig unterentwickelter menschlicher Emotionen mischen - dem Freihandel.
All das bricht jetzt zusammen, und wir sind an einem Punkt angelangt, wo sich die Gesellschaft nicht weiter entwickeln kann, wenn sie die bisherigen Ansichten über Wissenschaft und Kultur beibehält. Unsere Aufgabe als Bewegung muß es sein, wirkliche menschliche Kreativität im täglichen Leben wiederzubeleben und damit eine Grundlage zu schaffen, auf der wir einen kulturellen Ausweg aus dem Desaster finden, in das wir in den letzten Jahrzehnten hineingeraten sind. Auf der Grundlage menschlicher Kreativität muß die Ökonomie wieder zur Wissenschaft des menschlichen Fortschritts werden.
Anmerkungen
1. Das ist trotz des reduktionistischen und experimentell nicht bestätigten Beharrens der Fall, daß beispielsweise ein Kohlenstoffatom in einem lebenden Organismus nach seinen inneren Eigenschaften im wesentlichen das gleiche sei wie ein Kohlenstoffatom außerhalb eines lebenden Organismus. Es gäbe also kein unabhängiges Lebensprinzip, das sich nicht auf nichtlebende - abiotische - Phänomene reduzieren lasse.
2. In dieser Einleitung schreibt Cotes in Reaktion auf Leibniz’ Feststellung, die Vorstellung einer Gravitations-„Kraft“ habe eine okkulte Eigenschaft, und die Gründe für die universelle Gravitation und die Organisation des Sonnensystems müßten wißbar sein:
„Wer anmaßend genug ist, zu glauben, er könne allein kraft seines Geistes und des inneren Lichts seiner Vernunft die wahren Prinzipien der Physik und die Gesetze der natürlichen Dinge finden, muß entweder annehmen, die Welt existiere aus Notwendigkeit, und aus der gleichen Notwendigkeit folgten die aufgestellten Gesetze; oder, wenn die Ordnung der Natur durch Gottes Willen geschaffen wurde, kann selbst ein armseliges Reptil sagen, was am passendsten getan werden müßte. Jede vernünftige und wahre Philosophie gründet sich auf die Erscheinung der Dinge... Diese Leute können sie Wunder oder okkulte Ereignisse nennen, aber böswillig gegebene Namen sollten nicht zum Nachteil der Dinge selbst sein, solange diese Leute nicht letztlich sagen, jede Philosophie sollte im Atheismus begründet sein.
3. Dem Menschen die Fähigkeit zur Entdeckung der Wahrheit abzusprechen, d.h. die Quelle, aus der auch die Idee von absolutem Raum und absoluter Zeit als apriorische Konzepte stammt, lag Newtons Erfindung eines okkulten „Kraft“-Begriffs zugrunde, wie Newtons Nachfolger in seinem Mathematik-Lehrstuhl in Cambridge, William Whiston, berichtete:
„Es ist weder unpassend im Hinblick auf mich, noch unnütz im Hinblick auf die Öffentlichkeit, wenn ich hier anmerke, daß er in der Zeit meiner Bekanntschaft mit ihm [Newton] immer die Unmöglichkeit eingestand, die Schwerkraft mechanisch zu lösen, weil sie der Festigkeit von Körpern stets proportional und genau in der Mitte fester Körper genauso wirksam wie auf ihren oberflächlichen Teilen war: wohingegen all mechanischen Kräfte nur auf ihre Oberflächen einwirken: und er schien mir immer fest davon überzeugt, daß die Schwerkraft von der immateriellen Gegenwart und Kraft der Gottheit herstammte, da sie alle festen Teile des Körpers durchdrang und auf sie alle einwirkte... Ich erinnere mich auch gut daran, ihn sehr früh gefragt zu haben, warum er nicht zuerst solche Folgerungen aus seinen Prinzipien gezogen habe, wie es Dr. Bentley bald in seinen exzellenten Predigten bei Mr. Boyle’s Lectures getan hat; und wie ich es in meinen Astronomical Principles of Religion getan habe, und wie es der große Mathematiker Mr. Cotes in seinem exzellenten Vorwort zu den späteren Ausgaben von Sir I.N.’s Principia getan hat: Ich meine zum Vorteil der Naturreligion und das Eingreifen der göttlichen Macht und Vorsehung in die Verfassung der Welt.“
Lesen Sie hierzu bitte auch: Ändert das Thema! - Neue Solidarität Nr. 43/2008 Wie der menschliche Geist arbeitet (Sehen und Hören in der Wissenschaft) - Neue Solidarität Nr. 43/2008 Warum die Ökonomen versagt haben: Wirtschaft und Kreativität - Neue Solidarität Nr. 43/2008 Schriften von Lyndon H. LaRouche 1981-2006 - Internetseite des Schiller-Instituts Was Lyndon LaRouche wirklich sagt - Internetseite der Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo) Internetseite des LaRouche-Aktionskomitees - in englischer Sprache Internetseite der weltweiten LaRouche-Jugendbewegung - in englischer Sprache |
|
| Kernthemen | Suchen | Abonnieren | Leserforum |