|
|
|
| Kernthemen | Suchen | Abonnieren | Leserforum |
|
Aus der Neuen Solidarität Nr. 44/2008 |
|
|
|
Dieser Artikel erschien am 17. Oktober im russischen Wochenmagazin Slowo. Der Verfasser beobachtet und analysiert die Weltwirtschaft seit über 50 Jahren und ist der führende Experte Rußlands für die amerikanische Volkswirtschaft.
Eine Krise von Wirtschaft und Finanzen breitet sich sprunghaft über den ganzen Planeten aus - im einen Augenblick schneller, im andern langsamer, sie verläuft von Land zu Land, von Erdteil zu Erdteil, nimmt erst eine Form an und dann eine andere. Inzwischen wird allgemein anerkannt, daß es eine weltweite Krise ist, aber noch bis vor kurzem wollten Regierungsvertreter und Wirtschaftsexperten das nicht zugeben. Und wenn sie es zugaben, dann taten sie so, als sei die Krise ziemlich unerwartet ausgebrochen und nicht über Jahre oder gar Jahrzehnte herangereift.
Ökonomen konzentrieren sich in der Regel auf kurzfristige konjunkturelle Schwankungen und ignorieren oft die mittelfristigen, jahrzehntelangen Zyklen, ganz zu schweigen von den längerfristigen Trends oder den 40-50jährigen Kondratjew-Zyklen. Wenn man derlei Dinge nicht beachtet, dann übersieht man sehr leicht - sogar unvermeidlich - eine große Krise, die vergleichsweise selten auftritt und die meisten Menschen überrascht.
Einer der wenigen Ökonomen, die auf Ursachen achten und deshalb sehen, was andere nicht sehen, ist Lyndon LaRouche, ein Vertreter der physischen Schule der Wirtschaftswissenschaft, welche der Produktion greifbarer Güter absoluten Vorrang einräumt, und nicht etwa oberflächlichen Spekulationsprozessen an den Börsen. Durch seine systematische Untersuchung beider Prozesse kam er zu dem Schluß, daß die Welt der fiktiven Finanzwerte sich in den letzten 40 oder mehr Jahren immer mehr vom physischen, realen Wohlstand abgekoppelt hat und daß der Welt deshalb eine neue große Finanzkrise drohte.
So sagte LaRouche beispielsweise schon in einem Kommentar für eine Moskauer Radiosendung am 15. Juni 2006, als der Spekulationsboom der Weltwirtschaft noch auf Hochtouren lief: „Die gegenwärtige Lage konfrontiert die ganze Welt mit der Aussicht auf einen drohenden und baldigen, kettenreaktionsartigen Zusammenbruch des gegenwärtigen Weltsystems, vergleichbar mit dem Zusammenbruch der lombardischen Banken im sogenannten Neuen Finsteren Zeitalter des 14. Jahrhunderts. Nur eine grundsätzliche Änderung des gegenwärtigen Weltwährungs- und -finanzsystems könnte diesen gegenwärtig voranschreitenden Kollaps aufhalten.“
Die stetig wachsende Lücke zwischen der fiktiven und der realen Wirtschaft wurde tatsächlich immer gefährlicher, und damit das Weltwährungs- und -finanzsystem immer anfälliger.
Ende der sechziger Jahre gaben die Nationen das alte Bretton-Woods-System der festen Wechselkurse auf und gingen zu einem System schwankender Wechselkurse ohne feste Paritäten über. Dadurch verlor die Lage Stabilität, während die fluktuierenden Wechselkurse das Tummelfeld für die Devisenspekulation um ein Vielfaches vergrößerten.
Der nächste Schritt auf diesem Weg war die Globalisierung, insbesondere der Abbau der nationalen Schranken für grenzüberschreitende Bewegungen kurzfristigen Kapitals. Mit ihrer krampfartigen, unvorhersehbaren und spekulativen Natur destabilisierten diese Bewegungen das System noch mehr, denn es kam zu einer neuen Form von Krisen, die durch einen plötzlichen Kapitalabfluß aus einem Land oder einer ganzen Region verursacht wurden. Die erste solche Krise trat Ende der neunziger Jahre in Südostasien auf, traf dann Rußland und brachte einen der großen New Yorker Investmentfonds, LTCM, an den Rand des Bankrotts.
Zwei weitere Innovationen förderten ab den achtziger Jahren ebenfalls das Anwachsen der Kluft zwischen dem spekulativen Tumor und der Realwirtschaft. Die eine war, daß neue Formen spekulativer Wertpapiere auftauchten und sich bald rapide vermehrten. Das waren die sogenannten Derivate (verschiedene Formen von Swaps und Optionen). Anfangs als Instrumente zur Absicherung gegen finanzielle Risiken konzipiert, wurden diese Kontrakte sehr bald zu einem Lieblingsobjekt der Finanzspekulation. 2008 erreichte der Nominalwert solcher Geschäfte die unglaubliche Zahl von mehreren hundert oder tausend Billionen Dollar am Tag. Allein in den USA hat sich der Derivatmarkt seit 2002 verfünffacht, er wuchs von 106 Billionen Dollar auf 531 Billionen Dollar. Diese letztere Zahl ist mehr als 35mal größer als das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Vereinigten Staaten. LaRouche glaubt, daß diese Zahl sogar noch mindestens um die Hälfte untertrieben ist. Zu verschiedenen Zeitpunkten wiesen so bekannte US-Finanziers wie George Soros, Felix Rohatyn und Warren Buffett warnend darauf hin, daß die Derivate sehr wohl eine Explosion des Finanzsystems auslösen könnten. Rohatyn beispielsweise nannte sie „eine potentielle Wasserstoffbombe“, und Buffett sah in ihnen eine „finanzielle Massenvernichtungswaffe“.
Zweitens traten in dieser Periode neuartige Finanzfirmen namens Hedgefonds auf und vermehrten sich schnell. Anders als herkömmliche Geldinstitute unterlagen sie nicht der Aufsicht der Regierungen. Die Hedgefonds wurden zum Zentrum des Derivathandels, obwohl in jüngerer Zeit auch gewöhnliche Banken, Maklerfirmen und Versicherungen auf der Suche nach großen, schnellen Profiten solche Aktivitäten betrieben.
Ende der neunziger Jahre ereignete sich in den Vereinigten Staaten noch etwas anderes, auf das Lyndon LaRouche besonders hingewiesen hat. Das war die Aufhebung des aus den dreißiger Jahren stammenden Glass-Steagall-Gesetzes, das den Geschäftsbanken untersagte, Geschäfte von Investmentbanken zu betreiben, also Wertpapiere auszugeben und zu handeln. Umgekehrt hatte das Gesetz die Investmentbanken daran gehindert, die Aufgaben von Geschäftsbanken zu übernehmen, etwa die Annahme von Spareinlagen oder die Vergabe von Krediten. Man hatte diese Trennung als notwendig erachtet, um die Banken an Spekulationen zu hindern und so eine Wiederholung der großen Finanzkrise von 1929-30 zu vermeiden. Diese Trennung wurde fast 60 Jahre lang aufrecht erhalten, aber schließlich setzten die Finanzmagnaten der Wall Street deren Aufhebung im Namen der „Freiheit der Märkte“ durch. Die Stabilität wurde dem oligarchischen Denken geopfert.
Diese lange Entwicklung schuf die Grundlagen der gegenwärtigen großen Finanzkrise. Es begann mit dem Platzen einer privaten Spekulationsblase, nämlich der Krise des Eigenheimbaus und der Hypothekenblase in den Vereinigten Staaten. Das Federal-Reserve-System (Fed) hatte diese Blase über Jahre hinweg aufgepumpt und diesen Boom gefördert, mit keiner Rechtfertigung außer dem Wunsch, im politischen Interesse der Regierung Bush den Wirtschaftsaufschwung künstlich zu verlängern.
Wie LaRouche gezeigt hat, wurde die Hypothekenblase allerdings auch von außen angeheizt, insbesondere durch den Zufluß billiger Yen-Kredite, die durch spekulative Swap-Geschäfte zur Verfügung gestellt wurden.
Als die Symptome der Störung des Hypothekensektors im Sommer 2007 sichtbar wurden, war LaRouche der erste, der hieraus den weitreichenden Schluß zog, dies sei der Beginn einer großen Finanzkrise.
„Das Weltwährungs- und -finanzsystem befindet sich jetzt bereits im Prozeß der Auflösung“, sagte LaRouche in seinem Internetforum am 25. Juli 2007. Bald danach schlug er vor, rasch ein Gesetz zum Schutz der Eigenheimbesitzer und Banken in Kraft zu setzen. Hätte der amerikanische Kongreß dieses Gesetz angenommen, dann hätte dies die nachfolgende katastrophale Entwicklung der Krise höchstwahrscheinlich verhindert. Aber das geschah nicht.
Als die Regierung dann zu handeln begann, war es bereits sehr spät, und sie packte die Ursachen der Krise nicht an der Wurzel an. Mehrere Monate lang senkte die Fed die Zinsen immer weiter, aber das half nur, die allgemeinen statistischen Indikatoren zu halten, ohne die Lage im Finanzsektor wirklich zu verbessern oder ihn vor Spekulation zu schützen.
Eine weitere Maßnahme der Regierung gegen die Krise war, der Bevölkerung rund 100 Mrd. $ Einkommensteuer zurückzuzahlen. Dieser Schritt vergrößerte die Kaufkraft der Konsumenten etwas und steigerte sogar das Wachstum des BIP im 2. Quartal 2008 um 3%. Der Niedergang der materiellen Produktion wurde zeitweise gestoppt, aber die Steuerrückzahlung bot dem Banken- und Finanzsektor keine wirkliche Hilfe.
Die Regierung und die Fed sahen zu, als eine Bank nach der anderen gezwungen war, faule Kredite im Wert von zig Milliarden Dollar abzuschreiben. Es war, als zählten sie darauf, daß die Finanzkrise sich von selbst lösen würde. Die Banken waren mehrere Monate auf sich gestellt.
Gerade in der Zeit blähte sich eine Spekulationsblase nach der anderen auf, um dann zu platzen. Das Geld, das sich in der Immobilienfinanzierung angestaut hatte und keine weitere Verwendung fand, floß in die Spekulation an den Aktien- und Warenbörsen. An erster Stelle stand natürlich das Erdöl. Das Gerücht einer starken Zunahme des Verbrauchs in China und Indien diente als Anregung für das spekulative Hinauftreiben des Ölpreises. Zu der tatsächlichen Nachfrage nach Öl kam eine enorme Scheinnachfrage hinzu. Die Folge war, daß der Ölpreis von einem Niveau von 100 Dollar/Faß Anfang 2008 auf 147 Dollar/Faß Anfang Juli anstieg. Da begann die fiktive Nachfrage sehr schnell zu verschwinden, so daß diese jüngste Blase platzte und die Preise einbrachen. Anfang Oktober lagen sie unter 95 Dollar/Faß, und sie fallen weiter.
Das spekulative Geld, das aus dem Ölmarkt floh, floß in die Devisenmärkte, was eine unerwartete Nachfrage nach Dollars auslöste. Der Dollarkurs, der über Jahre gefallen war, begann nun gegenüber dem Euro und anderen Währungen steil anzusteigen. Von seinem Tiefpunkt bei 1,59 Dollar/Euro stieg er schnell um 16,9% auf ein Niveau von 1,36 Dollar/Euro. Das scheint widersinnig zu sein, wenn man bedenkt, daß die Vereinigten Staaten immer noch das Epizentrum der Finanzkrise bilden. Wenn dies noch eine weitere Blase darstellt, dann droht dem Dollar ein erneuter Zusammenbruch. Eine solche Wende hätte dann neue und unvorhersehbare Auswirkungen auf die internationale Finanzwelt.
Aber kommen wir zurück zu den amerikanischen Banken. Von der Regierung ihrem Schicksal überlassen, ging eine nach der anderen in die Insolvenz. Erstmals seit vielen Jahrzehnten traf es sogar führende Institute der Wall Street. Im März ging die Investmentbank Bear Stearns faktisch bankrott. Lehman Brothers und Merrill Lynch folgten im September. Diese Ereignisse waren so unerwartet, daß sie sogar in Rußland mit seiner schnell wachsenden Wirtschaft eine größere Börsenpanik auslösten, ganz zu schweigen von den anderen großen Finanzzentren der Welt.
Weil man einen solchen Finanzkrach schon seit sehr langer Zeit nicht mehr erlebt hatte, schien dies die Regierung Bush aufzuwecken. Sie begriff langsam, daß die Krise sich nicht von alleine lösen würde und zu einer völligen Katastrophe auswachsen konnte. Aus dieser Panik heraus wurde der Paulson-Plan geboren, demzufolge die Regierung faule Wertpapiere im Umfang von 700 Mrd. Dollar aufkaufen sollte. Das betreffende Gesetz wurde zunächst vom Repräsentantenhaus abgelehnt und nur auf enormen Druck der Regierung hin letztlich doch verabschiedet.
Lyndon LaRouche lehnte den Paulson-Plan kategorisch ab. Er hält es für unverantwortlich, riesige Summen an Steuergeldern an einen Rettungsversuch für die bankrotten Finanzmagnaten zu verschwenden. Der Rettungsplan sei allerdings zum Scheitern verurteilt, weil damit die Hauptursache der gegenwärtigen Krise, die Krebsgeschwulst der Spekulation, nicht beseitigt werde. Letztendlich könne der Paulson-Plan, wenn er umgesetzt wird, sogar sehr schlimme Folgen haben und die gegenwärtige Krise nicht nur verschärfen, sondern zu einer ruinösen Hyperinflation führen.
Betrachten wir diese Argumente genauer. Beginnen wir damit, daß schon die Ankündigung dieses Programms ein offizielles Eingeständnis darstellt, daß der Zustand des US-Finanzsystems katastrophal ist. Die Regierung gibt zu, daß sich in den Banken und sonstigen Finanzinstituten Hunderte von Milliarden an faulen Papieren angesammelt haben. Der tatsächliche Marktwert der faulen Papiere ist weit geringer als der Nennwert, zu dem sie in den Bilanzen dieser Institute geführt werden. Die Regierung wird sie in Auktionen zu reduzierten Preisen aufkaufen. Das bedeutet, daß das Rettungspaket ein riesiges Loch in die Bilanzen der Banken reißen wird, die dann erheblich mehr Verbindlichkeiten als Vermögenswerte haben werden.
Theoretisch sollte in einer solchen Lage eine Menge Geld als Grundlage für die Vergabe neuer Kredite freiwerden. Aber damit es dazu kommen kann, darf es keinen Ansturm panischer Anleger auf die notleidenden Banken geben, bevor diese wieder auf den Beinen sind. Da sie diese Gefahr voraussah, hob die Regierung die Obergrenze der von ihr garantierten individuellen Bankeinlagen von 100.000 auf 250.00 Dollar an. Ob das die Banken retten wird oder nicht, ist schwer zu sagen. Aber eines ist klar: Das System steht am Rande des Zusammenbruchs.
Eine weitere Frage lautet: Welche faulen Papiere gedenkt die Regierung eigentlich zu kaufen und von wem? Offiziell scheint es bei dieser Rettungsaktion vor allem um schlechte Hypothekenschulden als solche zu gehen. Davon gibt es immer noch sehr viele, die noch nicht abgeschrieben sind; die Krise in diesem Bereich ist weiterhin akut. Aber die Banken wollen auch andere Arten von Wertpapieren verkaufen, u.a. eine Menge unbezahlbarer Schuldscheine und ganze Pyramiden von Derivaten, in denen sie sich hoffnungslos verfangen haben. Es wird der Regierung sehr schwer fallen, ihnen das zu verweigern, doch andererseits wird es so gut wie unmöglich sein, diese in der Zukunft wieder zu verkaufen, um den Steuerzahlern, wie versprochen wurde, ihr Geld zurückzuzahlen.
Wird die Regierung auch den Hedgefonds Papiere abkaufen? Eigentlich sollten sie das nicht tun, denn die Hedgefonds sind eine nicht beaufsichtigte und unverantwortliche Art von Finanzunternehmen. Es ist aber kein Geheimnis, daß die Hedgefonds in der Regel Ableger von Banken sind, und es wird ihnen nicht schwer fallen, irgendwelche formalen Hürden zu umgehen. Das beste wäre eine radikale Entscheidung, die Hedgefonds als das schlimmste destabilisierende Element des Finanzsystems aufzulösen. Die Wall Street wird mit einer so drastischen Maßnahme natürlich nicht einverstanden sein, selbst wenn ihr die eigene Zerstörung droht.
Die Reaktion der Börse auf die Verabschiedung des Rettungspaketes durch den Kongreß war typisch. Statt zu jubeln, stürzte sie in den darauf folgenden Tagen ab. Das kann nicht überraschen. Die Märkte kennen die Nachteile und Gefahren des Paulson-Planes. Gleichzeitig wollen die Spieler an den Märkten ihr Spiel um jeden Preis fortsetzen und Gewinn aus der Instabilität schlagen, egal, ob die Kurse steigen oder fallen.
Jeder Tag, der verging, bestätigte, daß sich die Krise immer weiter ausweiten würde. Bundesstaaten und Kommunen begannen die Bundesregierung um Hilfe zu bitten, weil sie ihren Finanzbedarf nicht aus eigenen Mitteln decken können. Das gilt sogar für wohlhabende Staaten wie Kalifornien, Gouverneur Arnold Schwarzenegger sucht dringend Bundesmittel.
Dann wurde bekannt, daß das Finanzministerium zusätzlich zu den 700 Mrd. $ weitere 100 Mrd. Dollar freigegeben hat, um Unternehmen außerhalb des Finanzsektors Kredite für den laufenden Betrieb zu geben. Das hatte das Finanzministerium vorher noch nie getan. Es war das erste Symptom dafür, daß die Finanzkrise auch Produktion und Handel schwere Schläge versetzte. Die Banken schrecken einfach davor zurück, Unternehmen Kredite zu geben.
Dann, am 8. Oktober, kam ein beispielloses Ereignis: Die Federal Reserve, die Europäische Zentralbank und die Zentralbanken von Großbritannien, Schweiz, Kanada und Schweden senkten gleichzeitig ihren Diskontsatz um 0,5%. Sie handelten in solcher Eile, daß sie nicht einmal ein persönliches Treffen abwarteten, sondern ihr Vorgehen am Telefon koordinierten.
Die Wirkung der Senkung der Kreditkosten um einen so kleinen Betrag ist eher eine psychologische. Es ist zweifelhaft, ob eine solche Maßnahme an sich dazu beitragen kann, die Wirtschaft wieder aufzupäppeln und die Finanzwelt wiederzubeleben. Ihre Bedeutung liegt in ihrer Signalwirkung: Man hat erkannt, daß diese Krise global ist. Es wäre schwierig, irgendein Land oder eine Region zu nennen, die nicht von der Krise betroffen ist. Das sieht man an den Aktienindizes, die in allen großen Finanzzentren des Planeten abgestürzt sind (siehe Tabelle).
|
||||||||||||
Börse |
Rückgang (%) |
|||||||||||
New York |
31,1 |
|||||||||||
London |
32,4 |
Paris |
37,7 |
|||||||||
Frankfurt |
37,9 |
|||||||||||
Tokio |
39,9 |
|||||||||||
Hong Kong |
44,5 |
|||||||||||
Schanghai |
60,2 |
Zuletzt rückte Westeuropa in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Anfang Oktober ging die größte deutsche Hypothekenbank, die Hypo Real Estate, bankrott. Dann stellte eine der führenden Banken der Benelux-Staaten, Fortis, den Insolvenzantrag. Man muß anerkennen, daß die Regierungen dieser Länder reagierten: Sie verstaatlichten die betroffenen Banken sofort. Die niederländische Regierung rettete Fortis sogar zweimal, indem sie zuerst gemeinsam mit Belgien und Luxemburg einen großen Betrag aufbrachte, um die Bank als ganze zu stabilisieren, und dann weitere 17 Mrd. Euro ausgab, um die niederländische Komponente der Bank zu verstaatlichen. Der Grund für die Eile war offensichtlich. Nicht lange vor der Pleite hatte Fortis einen wesentlichen Anteil an der größten Bank der Niederlande, ABN-Amro, gekauft. Die Regierung konnte nicht zulassen, daß diese zusammen mit den Guthaben von Millionen Sparern unterging.
Eine Woche später kaufte die britische Regierung im Rahmen einer Teilverstaatlichung Anteile an den acht größten Geschäftsbanken des Landes. Sie alle sind transnationale Banken mit großer ausländischer, u.a. amerikanischer Beteiligung. Die plötzliche Flucht der ausländischen Gelder brachte sie in eine extrem schwierige Lage. Das Vorgehen der Regierung war ein Präventivschlag, wie man ihn in der Geschichte der britischen Banken bisher noch nicht erlebt hat.
Auf Initiative des französischen Präsidenten gab es zwei Treffen der Europäischen Union, um eine gemeinsame Strategie gegen die Krise zu entwickeln. Die Staatsführer der EU verständigten sich nicht auf eine koordinierte Strategie, aber sie beschlossen separate Präventionsmaßnahmen. Die Garantiesumme für persönliche Bankeinlagen wurde in den meisten EU-Ländern auf 50.000 Euro angehoben. Auf diese Weise wollte man eine Barriere dagegen aufbauen, daß Anleger massenweise ihre Einlagen aus den Banken abziehen. Wie diese Barriere halten soll, ist jedoch unklar, da sie in der Praxis noch nicht auf die Probe gestellt wurde. Wenn das geschieht, werden die Regierungen so große Geldmengen in die Wirtschaft pumpen müssen, daß die Gefahr einer Hyperinflation nicht mehr weit weg liegt.
Aber die angestrebte Ruhe auf den Märkten wollte immer noch nicht einkehren. Italiens Premierminister Silvio Berlusconi forderte, angesichts ihres fortschreitenden Absturzes zeitweise alle Börsen der Welt zu schließen. Die Finanzminister der Gruppe der Sieben versammelten sich in Washington und einigten sich auf eine gemeinsame Absichtserklärung, jedoch nicht auf eine konkrete Strategie.
Gleichzeitig zeigte sich die Krise auch in Japan, wo die Lage bis dahin relativ ruhig gewesen war. Die Nachricht der Pleite zweier großer Firmen - einer Versicherung und eines Immobilienunternehmens - erschütterte das Land. Gemeinsam mit anderen asiatischen Zentralbanken senkte die Bank von Japan den Diskontsatz im Oktober um 1%, doch die asiatischen Märkte rutschten weiter ab.
Schließlich beschlossen die westlichen Länder in ihrer Verzweifelung weitere drastische Maßnahmen. Am 13. Oktober gaben die EU-Regierungen an, daß sie weitere rund 2 Billionen Euro in das Bankensystem pumpen wollen, wovon ein großer Teil für den Ankauf von Aktien großer Privatbanken vorgesehen ist, d.h. für eine Teilverstaatlichung. Gleichzeitig kündigte Washington an, 250 Mrd. $ ebenfalls für die Teilverstaatlichung der größten US-Banken wie J.P. Morgan Chase, Citigroup und Bank of America bereitzustellen. Das löste umgehend einen plötzlichen Kursaufschwung an allen wichtigen Börsen aus. Aber bedeutet es auch, daß das Finanzsystem gerettet und die Finanzkrise vorüber ist?
Keineswegs. Es gibt noch viele offene Fragen. Die wichtigste ist, wie diese Länder überhaupt diese kolossalen Geldspritzen finanzieren wollen. In Westeuropa beispielsweise entsprechen die Summen, um die es geht, mehr als 10% des BIP. In den Haushalten der Regierungen gibt es solche Reserven nicht. Es gibt auch praktisch niemanden, von dem man solche Summen leihen könnte. Die massive Ausweitung der Geldmenge hingegen droht genau das auszulösen, wovor LaRouche gewarnt hat: Hyperinflation.
Viele vergleichen das Geschehen inzwischen mit dem großen Krach von 1929-33. Jedenfalls sind die gegenwärtigen finanziellen Erdbeben sicherlich mindestens ebenso akut wie das, was damals geschah. Auch damals fing die Krise bei den Banken und Börsen an, und der schwere Zusammenbruch der Produktion folgte nicht gleich unmittelbar. Aber er kam. Was wird diesmal geschehen?
Der Kapitalismus war vor 80 Jahren recht verschieden von dem heutigen. Der Anteil der Regierungsausgaben an der Volkswirtschaft war eher gering und konnte nicht benutzt werden, um die Wirkung eines plötzlichen Rückgangs der Gesamtnachfrage zu dämpfen. Heute belaufen sich die Regierungsausgaben auf 30-50% des BIP, und ihre Rolle als Stoßdämpfer ist wohlbekannt.
Als die Große Depression kam, existierten nicht einmal Ansätze einer Regulierung zur Vermeidung von Krisen. Die Regierung Herbert Hoover, die in den vier Jahren nach dem Börsenkrach von 1929 regierte, tat überhaupt nichts gegen die Krise - im Gegenteil. Ihre Maßnahmen verschlimmerten die Lage noch. Infolgedessen war der Rückgang des BIP dauerhaft und steil; er erreichte insgesamt 40%.
In der gegenwärtigen Krise haben die USA umfangreiche Maßnahmen gegen die Krise ergriffen, wenn auch ziemlich spät. Die haben die Krise nicht aufgehalten, aber sie haben bisher einen drastischen Einbruch der Produktion verhindert. Der wird aber früher oder später folgen, und in Deutschland und Frankreich hat er bereits begonnen. Derzeit stimmen viele in der Überzeugung überein, daß das, was vor uns liegt, weniger ein großer Krach als vielmehr eine langanhaltende Depression sein wird. Aber jeder längere Stillstand des Wirtschaftswachstums in den Industrienationen wird zu einer höheren Arbeitslosenrate und einer Senkung des Lebensstandards führen. So werden die sozialen Auswirkungen beinahe genauso schlimm sein wie die eines großen Krachs.
Um dies zu verhindern, müssen LaRouche zufolge umgehend radikale Reformen durchgeführt werden:
* Die Maßnahmen sind auf der Ebene aller führenden Staaten zu koordinieren. Vor allem müssen entschiedene Maßnahmen ergriffen werden, um das Bankensystem zu sanieren, bis hin zum Konkursverfahren für die faulsten Zweige. Die Aktivitäten der Hedgefonds und übrigen Derivathändler müssen unter Regierungsaufsicht gebracht oder ganz unterbunden werden. Ohne eine chirurgische Entfernung dieser Krebsgeschwulst der Spekulation wird man die Krise nicht beenden können.
* Die maßgeblichen Weltmächte - die USA, Rußland, China, Indien, Deutschland und Frankreich - müssen koordiniert handeln für eine grundlegende Umwandlung des internationalen Währungs- und -finanzsystems in ein Neues Bretton Woods. Das bedeutet die Beseitigung des jetzigen Systems der schwankenden Wechselkurse und statt dessen die Einführung eines Systems fester Wechselkurse. Dadurch würden die Möglichkeiten für Spekulationen, eine Hauptursache der gegenwärtigen Instabilität und der Finanzkrise, stark eingeschränkt.
* Dieselben Nationen sollten sich auf ein koordiniertes Programm langfristiger Kapitalinvestitionen in den weltweiten Ausbau von Energieversorgung und Verkehrsinfrastruktur für die nächsten 20-50 Jahre einigen. Ein solches Programm schüfe eine solide Grundlage für eine anhaltende Entwicklung der Weltwirtschaft, mit Schwergewicht auf der Produktion greifbarer Güter, und eine weitgehendste Reduzierung der Mittel, die für unproduktive und spekulative Aktivitäten aufgewandt werden.
Einige mögen diese Vorschläge für utopisch oder für unvereinbar mit den Prinzipien der Marktwirtschaft halten. Aber wenn diese Marktwirtschaft unausweichlich in zerstörerische Krisen führt, braucht man dann nicht eine gründliche Kur und eine Überprüfung ihrer Prinzipien?
Lesen Sie hierzu bitte auch: Sind Putins Pläne ernst gemeint? - Neue Solidarität Nr. 26/2008 Wird Moltschalin nächster russischer Präsident? - Neue Solidarität Nr. 8/2008 Putins Diplomatie entscheidet über Krieg und Frieden - Neue Solidarität Nr. 44/2007 Putins Initiative zur Kriegsvermeidung - Neue Solidarität Nr. 44/2007 Das Landbrückenprojekt und die politische Großwetterlage in Rußland - Neue Solidarität Nr. 40/2007 |
|
| Kernthemen | Suchen | Abonnieren | Leserforum |