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Aus der Neuen Solidarität Nr. 42/2008

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Eine blutige Lektion des Privatisierungswahns

Deutschland. Die Verluste der Hypo Real Estate Bank stammen vor allem von der irische Depfa-Bank - die früher staatliche Deutsche Pfandbriefanstalt, die Ende der achtziger Jahre in eine AG umgewandelt und privatisiert wurde - weil private Banken angeblich „professioneller“ arbeiten...

Die Politiker, allen voran Angela Merkel und  Peer Steinbrück, sind verärgert und fühlen sich hintergangen: Mit der Hypo Real Estate (HRE) ist wieder eine angeblich „kerngesunde“ Bank an den Rand der Pleite gerutscht, und wieder einmal habe der Bankvorstand das volle Ausmaß der Krise vertuscht. Der Bundesfinanzminister ist besonders verärgert, weil er gerade noch im Bundestag lautstark behauptet hatte, die bundesdeutsche Bankenwelt sei, anders als das anglo-amerikanische, in gutem Zustand und ziemlich krisenfest. Die Öffentlichkeit ist auch verärgert, weil sie längst nicht mehr glaubt, daß Steinbrück und Merkel wirklich nicht wissen, wie kritisch die Lage ist. Es ist nämlich nicht so, daß man erst spätabends am 28. September wissen konnte, wie ernst die Lage der HRE war, denn seit Monaten ist ein Prozeß im Gange, der den gesamten Bereich der Immobilienfinanzierung betrifft: Im dritten Quartal 2008 schrumpften Immobilientransaktionen in Deutschland um 76 (!) Prozent, und das konnte man schon im August spüren, also vor der akuten Krise um die Lehman Brothers Bank in den USA, die offiziell als Auslöser der HRE-Probleme ausgegeben wird. Auch die EuroHypo, die zweitgrößte Bank in diesem Sektor, ist unter Druck, was dafür gesorgt hat, daß die Aktien der Mutterfirma Commerzbank diejenigen waren, die nach denen der HRE in den vergangenen Tagen die größten Verluste an der Frankfurter Börse zu verzeichnen hatten. Der gesamte Sektor ist ganz und gar nicht „kerngesund“ und auch nicht „gut aufgestellt“ (ein anderer dummer Spruch von Steinbrück), sondern in der allertiefsten Krise, und deshalb muß man schwere Zweifel haben, ob die akute, 50 Milliarden Euro teure Rettungsaktion, bei der die Bundesregierung mit 26,5 Milliarden als Staatsgarantie dabei ist, den Sektor stabilisieren und somit eine „systemische Krise, wie sie ansonsten gedroht hätte“, abwenden wird.

Mit etwa 15 Prozent Anteil ist die HRE-Gruppe der größte Akteur im deutschen Pfandbriefsektor, der mit einem Gesamtvolumen von 900 Milliarden Euro der größte dieser Art in Europa ist. Ein Pfandbrief hat immer als besonders sichere Geldanlage gegolten, weil er vom Staat lizensiert und garantiert ist; 10-Jahres-Pfandbriefe sind beispielsweise im Kommunalbereich sehr beliebt, weil sie eine über längere Zeit kalkulierbare Finanzierung oder Anlage ermöglichen. Das alles ist aber eine Idealvorstellung, die mit der Wirklichkeit schon lange nichts mehr zu tun hat. Eine nicht bekannte, große Zahl von Pfandbriefen hat längst ihre ursprünglichen Besitzer verlassen und ist in andere Hände gewandert, beispielsweise weil eine Kommune vor der Frist von 10 Jahren Geld damit machen wollte und ihre Briefe mit Abschlägen an eine Bank verkauft hat, die sie dann ihrerseits weiterverkauft oder als „Sicherheit“ einsetzt, um andere Kredite aufnehmen zu können. Die einfache Tatsache, daß die HRE-Tochter DEPFA Bank, die frühere Deutsche Pfandbriefanstalt, seit Juni 2002 von Dublin, diesem Mekka der Schachtelfinanzgläubigen (zum Beispiel jenen der IKB und der Sachsen LB), aus ihre Geschäfte, zu denen die Finanzierung von langfristigen Projekten durch kurzfristige Gelder gehört, hätte spätestens nach den Notfällen IKB und Sachsen LB vor einem Jahr Anlaß zur Sorge und Überprüfung sein müssen. Zwar hat die deutsche Bankenaufsicht BaFin keinen direkten Zugang zu Dublin, aber sie hätte ihre Bedenken wenigstens öffentlich machen und vor allem der HRE davon abraten können, ausgerechnet im Hochkrisensommer 2007 sich an die Übernahme eben jener DEPFA in Dublin zu machen. Seit Oktober 2007 gehört DEPFA zur HRE-Gruppe und machte diese zum größten Akteur auf dem deutschen Pfandbriefmarkt - ein Kuckucksei, das sich einige offenbar ebenso schlecht informierte wie gierige Bankiers ins eigene Nest holten. Ins Nest holte sich die HRE auf ihrem Vormarsch zur Nummer 1 bei den Pfandbriefen auch weitere Immobilienkredite, die sie anderen Banken wie der LBBW abkaufte und an die DEPFA weiterreichte.

Wie weit sich die DEPFA selbst von ihrem ursprünglichen Auftrag, den der Durchschnittsbürger mit dem Begriff „Pfandbrief“ verbindet, entfernt hat, geht aus ihrem eigenen Prospekt hervor. Im Rahmen der Privatisierungspolitik der Regierung Kohl Ende 1989 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, ging die DEPFA an die Börse und „agierte seit 1990 nicht mehr auf der Basis eines öffentlichen Auftrages, sondern fühlte sich als markt- und ertragsorientiertes Unternehmen dem Shareholder Value-Prinzip verpflichtet“, heißt es im Prospekt. „Ab der zweiten Hälfte der neunziger Jahre zeigte sich jedoch, daß das deutsche Hypothekenbankgesetz ein zu enges Korsett für die weitere Entwicklung der Staatsfinanzierungs- und Immobilienaktivitäten geworden war. Vorstand und  Aufsichtsrat der DEPFA-Gruppe schlugen daher vor, den Konzern in zwei Spezialbanken aufzuspalten. Am 15. Oktober 2001 stimmten die DEPFA-Aktionäre mit 99,95% der Teilung des Konzerns in eine Staatsfinanzierungs- und eine Immobilienbank zu. Die neue Struktur sollte die Optimierung des Geschäftsmodells und die weitere internationale Expansion ermöglichen. Der mehrstufige Teilungsprozeß wurde im Juni 2002 abgeschlossen und brachte die Staatsfinanzierungsbank DEPFA BANK plc und die Aareal Bank AG als Immobilienspezialisten hervor.“

Haben Bundesregierung und Bafin jemals während dieses gesamten Umwandlungsprozesses seit 1989 eingegriffen in einen Sektor, den heute Steinbrück als „systemisch relevant“ bezeichnet, um die 50-Milliarden-Rettungsaktion mitsamt Staatsgarantie zu rechtfertigen? Natürlich nicht, denn in den neunziger Jahren und auch nach der Jahrtausendwende galt das, was da in Dublin ablief, als besonders clevere Art der modernen Finanzierung, jegliche Kritik daran galt als rückständig. Spätestens seit Juni 2007, als die IKB ins Kippen geriet, hätten jedoch die Alarmglocken klingeln sollen, und ein guter Finanzminister hätte alles daran gesetzt, Informationen über die Hochkrisenbereiche zu bekommen. Ein Steinbrück, der Ende September 2008 angeblich immer noch nichts wußte und von den dramatischen Entwicklungen um die HRE völlig überrascht wurde, ist fehl am Platz. Deutschland braucht keinen Schönschwätzer als Finanzminister, sondern einen Politiker, der das wahre Ausmaß der Krisenrealität erkennt und danach handelt, und handeln kann hier nur heißen, einen drastischen Kurswechsel weg von der Privatisierungspolitik und ihren Exzessen hin zu einer klugen Re-Regulierung zu vollziehen.

Wenn der italienische Finanzminister Tremonti sich für ein „neues Bretton Woods“ einsetzt, dann setzt er den Maßstab für das, wofür sich auch ein deutscher Finanzminister stark machen muß. Wie ein „neues Bretton Woods“ aussieht und funktioniert, kann man bei der BüSo erfahren, die seit längerem damit Wahlkampf macht und im übrigen regelmäßig vor dem  Bundesfinanzministerium in Berlin Flugblätter zum Thema verteilt. Vielleicht legt einer derjenigen Beamten und Angestellten des Ministeriums, der so ein Flugblatt erhalten hat, dem Amtsherrn mal eines auf den Tisch, so daß Peer Steinbrück eine Idee bekommt.

                Rainer Apel

 

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