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Aus der Neuen Solidarität Nr. 39/2008

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Nicht nur Sozialisten wurden getäuscht
Der Betrug des „Freihandels“

Von Lyndon LaRouche - letzter Teil

Der folgende wirtschaftspolitische Aufsatz erschien im englischen Original am 10. Juli 2008. Diese Woche folgt der fünfte und letzte Teil.

V. Politische Ökonomie

Nachdem jetzt diese einleitenden Fragen in den vorigen Kapiteln geklärt wurden, sind wir gerüstet, um die politischen Grundelemente einer modernen Realwirtschaft zu behandeln. Wir sehen darin die Anwendung der in den vorigen Kapiteln untersuchten Konzepte auf eine reale Gesellschaft der Gegenwart oder die moderne Welt als Ganze.

Das wesentlichste physikalische Prinzip, unter dem andere Elemente des vor uns liegenden Gegenstands eingeordnet werden sollten, ist das Verhältnis zwischen der Rate der Erschöpfung der bisher erreichten physischen und verwandten Lebensumstände in einer Gesellschaft und dem Wert der komplexen Funktion steigender Produktivität pro Kopf und Quadratkilometer Gesamtfläche, der erforderlich ist, um diese Rate auszugleichen. Damit wird zunächst einmal lediglich verhindert, daß die kombinierten Ressourcen, auf denen die bisher erreichte reale Produktivitätsrate beruhte, tatsächlich erschöpft werden. Diese sicher breit gefaßte, aber unbedingt erforderliche erste Vorstellung bietet dann eine Ausgangsbasis für die Bestimmung einer Rate echten Wachstums der Noosphäre im Verhältnis der Biosphäre, bei der jedoch der reale Pro-Kopf-Wert der Biosphäre relativ zur wachsenden Gesamtbevölkerung nicht sinkt.

Im wesentlichen geht es um die Wirkung jeder individuellen Handlung auf einen Wert pro Kopf und pro Quadratkilometer, der sich nur aus dem Prozeß als ganzen bestimmen läßt. Letztlich gibt es keinen anderen kompetenten Begriff von „Wert“ als dieses Verhältnis der einzelnen Handlung zu dem Gesamtprozeß, innerhalb dessen sie stattfindet und den sie beeinflußt.

Genau aus diesen Gründen gibt es kein realwirtschaftliches „Modell“, das auf Grundlage eines „realen Nullwachstums“ existieren könnte.

Welche Wachstumsrate eine Gesellschaft braucht, um weiterzubestehen, ergibt sich aus der Erschöpfung der bisher genutzten Ressourcen, zu der es bei jeder Bevölkerungsdichte der menschlichen Gattung, die deutlich über jener der Menschenaffen liegt, kommen muß. Die menschliche Fähigkeit, zu produzieren, muß pro Kopf und pro Quadratkilometer zunehmen, und zwar durch eine kulturelle Evolution, die auf einem Faktor der Kreativität beruht, der bei keiner anderen Art außer dem Menschen vorhanden ist. Jede kompetent definierte Funktion für eine kulturell überlebensfähige menschliche Bevölkerung bezieht sich auf eine Politik, die in der Praxis zu einer Zunahme der potentiellen relativen Bevölkerungsdichte pro Quadratkilometer durch Erfindungen für wissenschaftlichen und technischen Fortschritt führt.

Zum Beispiel: Die reale Wachstumsrate der potentiellen relativen Bevölkerungsdichte pro Kopf und pro Quadratkilometer ist das grobe physikalische Maß, um relativen wirtschaftlichen Wert zu definieren. Die Zusammensetzung der daran beteiligten Elemente, die unter dieser Vorstellung zusammengefaßt sind, bildet die wesentliche, ziemlich revolutionäre Besonderheit des Prinzips der physischen Ökonomie, das ich in den fünfziger Jahren mit der von mir gesuchten Orientierungshilfe durch Bernhard Riemann gefunden habe.46

Die Verhältnisse, die in der Praxis diesem angeführten Leistungsstandard entsprechen, sind dynamisch im Sinne eines Riemannschen Dynamikbegriffs, der in Leibniz’ spezifisch anticartesischem Verständnis von Dynamik wurzelt. Der Entwurf eines praktisch verwendbaren Begriffs, welche Eigenschaften des menschlichen Individuums dieser Aufgabe gerecht werden, während keine Tierart dies kann, ist entscheidend für die Definition des funktionellen Begriffs einer erfolgreichen Gesellschaftsform.

Um irgendeine Gesellschaft als physische Volkswirtschaft praktisch zu untersuchen, muß man alles zusammenbringen, was dazu beiträgt, daß diese grob definierten Parameter an Anforderungen erfüllt werden. Bei der kompetenten Anwendung in der täglichen Realität müssen wir uns stets auf Konzepte stützen, die halbwegs vernünftige Annäherungen an diese allgemeine Vorstellung sind: einer Zunahme der potentiellen relativen Bevölkerungsdichte pro Kopf und pro Quadratkilometer der Erdoberfläche oder eines entsprechend großen Teils davon, etwa eines Staatsgebiets.

Um die einzelnen Elemente dieses eben kurz dargestellten allgemeinen Prinzips und auch das damit verbundene Prinzip willentlichen menschlichen Handelns, durch das diese allgemeinen Randbedingungen erfüllt werden, tatsächlich zusammenzubringen, muß man von einem entsprechenden allgemeinen Prinzip menschlicher kognitiver Verständigung ausgehen; dieses gibt es nur außerhalb der Grenzen der sogenannten „Informationstheorie“ von Russellschen Nachläufern wie Professor Norbert Wiener und John von Neumann. Mit anderen Worten, wir beginnen mit dem Konzept klassischer Ironie, wie es in jeder Dichtung (jenseits aller anderen Modalitäten), der klassischen Musik und dem klassischen Drama einerseits und der heutigen Riemannschen Physik andererseits enthalten ist. Deswegen müssen wir hier zu dem scheinbaren Paradox menschlicher wissenschaftlicher Kreativität zurückkommen.

Dichtung als Wissenschaft

An dieser Stelle muß ich etwas äußern, was die meisten meiner Leser als Schock empfinden werden. Es kann aber nur eine kompetente Wirtschaftswissenschaft geben, wenn diese schockierende Korrektur vorgenommen wird.

Abgesehen von Popularisierungen, die im Grunde nicht besser sind als Altweibergeschwätz, sollte es eigentlich jedem, der sich in den Naturwissenschaften auskennt, zu Bewußtsein gekommen sein, daß man wirkliche wissenschaftliche Ideen niemals explizit in mathematischen Begriffen ausdrücken kann. Bestenfalls lassen mathematische Formulierungen die Schatten wirklicher Ideen erahnen. Zugang zu diesen Ideen findet man oft nur durch etwas, was dem Neuling wie eine „poetische“ Interpretation solcher Schatten erscheinen mag. Am besten läßt sich diese Frage für unsere Zwecke hier verdeutlichen, indem man die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Frage lenkt, wie Johannes Kepler Wahrnehmungen zweier gegensätzlicher Sinne, in dem Fall Sehen und Hören (Harmonie), ironisch nebeneinander stellte, um daraus die Gravitationswirkung unter den Körpern des Sonnensystems abzuleiten.

Wendet man die Mathematik in der Naturwissenschaft kompetent an, so erhält man nicht mehr als einen Nachweis der Realität, wie diese in Form des mathematisch Dargestellten ihren Schatten wirft. Und wenn man wirklich kompetent ist, verabscheut man es, wenn die statistische Interpretation des Reduktionisten als Realität hingestellt wird, während der vermeintlich reale Gegenstand tatsächlich nur eine Projektion und ein Schatten der Wirklichkeit ist.

Aus diesem Grund bilden die klassische Musik - in der Tradition von Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven, besonders seine späten Quartette - und die klassische Dichtung auf der Grundlage ähnlicher Prinzipien den Geisteszustand, den wir heute für die Naturwissenschaft am dringendsten benötigen. Das ist der Geisteszustand Keplers, als er die naturwissenschaftlichen Grundlagen für jede kompetente, antireduktionistische Wissenschaft der Neuzeit schuf. Und tatsächlich ist umgekehrt auch eine gehörige Achtung vor der wissenschaftlichen Bedeutung, die Leonardo da Vinci, Bach, Mozart und Beethoven der Musik beimaßen, ganz unerläßlich, um die größten musikalischen Kompositionen zu verstehen.47

Aus dem, was ich eben geschrieben habe, sollte auch hervorgehen, daß wir ein genaueres Verständnis des Begriffs „menschliche Kreativität“ entwickeln müssen, besser als die üblichen Varianten salopper, sentimentaler Rhetorik, die gewöhnlich zu dem Thema geäußert werden.

Man kann sich dem richtigen Begriff zum Zwecke der weiteren Diskussion annähern, indem man die Tatsache herausstellt, daß kein geschriebener Text und keine Rede in der Art von Sprachcomputern oder „ohne Punkt und Komma reden“ irgendeine bedeutende menschliche Idee angemessen wiedergeben kann. Eine solche Sprache ist bestenfalls ein Mittel, um auf ein Sinnesobjekt aufmerksam zu machen, aber nicht, um sinnvolle Vorstellungen irgendwelcher Abläufe zu vermitteln.

Das wesentliche Kennzeichen jeder gebildeten Kommunikation über etwas, was den hohen Anspruch einer „Idee“ erfüllt, ist die Ironie, wie sie mit der klassischen Dichtung und Musik verbunden ist. Diese Ironie schwebt nur wie eine Art Schatten über dem geschriebenen Text als solchem; um sie beim Sprechen auszudrücken, bedarf es dann sinnvoller Pausen und ähnlichem. Dies unterliegt auch den allgemeinen Grundsätzen der klassischen Prosodie, die damit zusammenhängen, wie eine belcanto-geübte Singstimme beim Sprechen benutzt wird.48

Nur diese klassischen Medien, und nicht die Fußabdrücke, die wir mathematische Formeln nennen, vermitteln einen menschlichen Geist, der in Bewegung ist. Es ist eine nichtmathematische Sprache des menschlichen Geistes, durch die die Kreativität spricht; durch sie faßt sie ihre Absichten und schafft ein Ergebnis, das sich mit Hilfe physikalisch-mathematischer Veranschaulichungen mitteilen läßt.

Das eben dargelegte Argument ist für uns hier von wesentlicher Bedeutung, weil die aktive Rolle der Kreativität in der Volkswirtschaft immer nur mit Ideen zusammenhängt, die in der eben dargestellten Weise gefaßt und ausgedrückt werden. Das Noetische ist poetisch. So und nicht anders arbeiten die schöpferischen Kräfte des menschlichen Geistes, wenn sie arbeiten.

Betrachten wir die erste Phase von Johannes Keplers Entdeckung der universellen Gravitation in Die neue Astronomie. Wie Nikolaus von Kues gewarnt hatte, ist die archimedische Vorstellung, der Kreis werde durch die Quadratur erzeugt, naturwissenschaftlich absurd. Der Umstand, daß die Rate der Bahnbewegung „gleiche Fläche = gleiche Zeit“ ist, verbietet jeden Quadraturbegriff bzw. jede lineare Vorstellung überhaupt. Es herrscht ständige Veränderung, aber eine Form der Veränderung, die - wie Kepler betont und Albert Einstein später hervorhob - einem bestimmten universellen Naturprinzip entspricht: einem Prinzip des Universums, einer Vorstellung, die es im Denken des Empirismus, Positivismus usw. gar nicht gibt. Die Wirkung eines universellen physikalischen Prinzips können wir darstellen, aber das Prinzip selbst läßt sich nicht mathematisch definieren; beschreiben läßt sich nur seine gesetzmäßige Wirkung auf den entsprechenden Gegenstand.

Hier, in dem höheren Bereich jenseits jeder formalen mathematischen Deduktion oder Induktion, stoßen wir auf die geistige Aktivität des Menschen, welche die Idee eines experimentell bestätigten universellen Naturprinzips erzeugt, eine Erkenntnis, die dann auf den mathematischen Bereich angewandt werden kann. In einem mathematischen System ist keine Kreativität, vielmehr wirkt diese auf ein mathematisches System ein, um es zu verändern. Hier und nicht in der Mathematik als solcher liegt eigentlich die spezifisch menschliche Kreativität. Dies gilt auch für alle Äußerungen wirklicher menschlicher Kreativität in Poesie, Musik und Drama sowie der richtig ausgeübten Naturwissenschaft. Keine Maschine - und auch kein Mathematiker - entdeckt Prinzipien; das geschieht nur über die einzigartigen schöpferischen Geisteskräfte des Menschen, wie wir sie - wie es Leonardo da Vinci tat - mit klassischer Ironie in Poesie, Musik und Drama verbinden.

Zur Verdeutlichung: Kepler

Um bei Keplers Entdeckungen über den Aufbau unseres Sonnensystems fortzufahren: Wir betonen noch einmal, daß Keplers Entdeckung der elliptischen Erdbahn wie auch des harmonischen Prinzips der Gravitation in der Anordnung des Sonnensystems das moderne Paradigma für naturwissenschaftliche Kreativität ist. In beiden Fällen ist die Ironie klar dargestellt, auch wenn einfältige Studenten und die dazu passenden Professoren das nicht begreifen - wahrscheinlich weil ihnen die Fähigkeit fehlt, „tiefe und leidenschaftliche Konzepte über Mensch und Natur zu empfangen und weiterzugeben“, wie es der Dichter Shelley formulierte.49

Was diese bedauernswerten Studenten und ihre Professoren nicht begreifen, ist die harmonische Funktion klassischer Ironie. Sie neigen dazu, eine bloße mathematische Formel oder ein erläuterndes Schaubild mit der eigentlichen Vorstellung des entsprechenden Prinzips zu verwechseln. Anstatt den mathematischen Ausdruck als versuchte Annäherung, als Schatten der eigentlichen Realität zu behandeln, wird die Realität der Idee zum schlechten Annäherungsversuch an die mathematische oder vergleichbare Illustration.

Diese Überlegung ist nicht neu, beispielsweise im Hinblick auf die kompetente Wissenschaft der Antike. Wenn das, was ich eben zu dieser Frage geschrieben habe, im heutigen akademischen und verwandten Leben nicht leicht akzeptiert wird, ist das fast ausschließlich eine Folge der hirnrissigen Gewohnheiten des gängigen Gymnasial- und Universitätsunterrichts, dessen Lehrbuchmethode schon an sich ein getreues Abbild der Ockhamschen Lehre von Paolo Sarpis reduktionistischem Empirismus ist.

Es sollte bereits aus Keplers erfolgreicher Definition der grundsätzlich „nichtlinearen“ Merkmale der Planetenbahnen und dann auf einer höheren Ebene des Gravitationsprinzips in der Weltenharmonie deutlich werden: Erkennen und ausdrücken lassen sich wirksame physikalische Prinzipien nur in dem Bereich, den man „Erkenntnis“ oder „Einsicht“ nennt, der außerhalb der Grenzen jeglicher formal-mathematischer Darstellung liegt. Am relativ zugänglichsten ist er in Form klassischer poetischer Ironie im allgemeinen und der Metapher im besonderen.50 Die klassische Dichtkunst ist die eigentliche „Heimat“ mitteilbarer schöpferischer Produkte des menschlichen Geistes.

Jeder fortgeschrittene Student (insbesondere), der Arbeiten in der mathematischen Physik wirklich gemeistert hat, wird verstehen, daß schöpferische Erkenntnisse gleichsam ontologisch „außerhalb“ der Grenzen einer Symbolik mathematischer Darstellungen liegen. Er bringt solche nicht-mathematischen Erkenntnisse ins Spiel, um die tiefere Bedeutung hinter der mathematischen Form zu erfassen - das, was sie eigentlich sagen will. Dies gilt ganz besonders bei allen wissenschaftlichen Überlegungen zu schöpferischen Erkenntnissen in der Naturwissenschaft oder ernsthaften Werken der klassischen Kunst. Ein Beispiel von vielen dabei ist der Unterschied zwischen einem überlegten und einem bloß formalen Einsatz des Rubato bei musikalischen Aufführungen. Der überlegte Einsatz „sagt“ dem menschlichen Geist etwas wesentliches, während der willkürliche Gebrauch eigentlich nichts besseres als Graffiti ist.

Der Feind der Menschheit

Um weiter zu gehen, als wir in den Anfangsseiten dieses Kapitels gekommen sind, müssen wir uns damit befassen, welches miserable Element heute noch die Gesellschaften auf der Welt beherrscht. Praktisch sind nämlich bisher alle bekannten Kulturen der Menschheit in der Geschichte, und soweit wir sie kennen, auch der Vorgeschichte, geprägt von einer systematischen „Verdummung“ der Bevölkerungsmehrheit und von einer Verderbnis der herrschenden Schichten, wie sie mit den Folgen einer solchen Unterwerfung der Mehrheit durch eine als herrschend geltende kulturelle Minderheit einhergeht.

Ein Beispiel. Die Astronomie und die damit zusammenhängenden Sternen- und Sonnenkalender wurden auf eine Art und Weise entwickelt, wie dies für Seefahrerkulturen und nicht für reine Landkulturen typisch ist, was zeigt, daß die antiken Seekulturen zu diesem Grad kulturell höher standen und die Hauptquelle der zivilisatorischen Entwicklung bildeten. (Schließlich stammen alle kompetenten Entwicklungen dessen, was wir als „Wissenschaft“ bezeichnen können, aus dem astronomischen Begriff des „Universellen“.) Aber immer wieder haben bestimmte soziale Schichten diese aus der Seefahrt stammende überlegene Technik dazu mißbraucht, die Mehrheit der Bevölkerung ihrer Herrschaft zu unterwerfen, so wie es das maritime Weltreich der Briten und seine Vorläufer taten. Das demonstriert schon ein Maß an moralischer Verderbnis der Kulturen, die auf diese Weise herrschen. Die anglo-holländisch-liberale Form der Seefahrtkultur würdigte sich moralisch und auf andere Weise selbst herab, indem sie ihren kulturellen Vorteil als Hebel mißbrauchte, um die unterworfene Bevölkerung und auch ihre eigene sogenannte Unterschicht zu entmenschlichen. Das waren dann praktisch die „Yahoos“, wie sie Jonathan Swift wahrnahm, das Zeichen eines Verfalls der britischen Gesellschaft, die durch ihre „Ritter“ („Houyhnhnms“) in die intellektuelle und moralische Dekadenz des Liberalismus gestürzt wurde.51

Der entscheidende Punkt bei all dem liegt nahe, wenn man an die Bedeutung der individuellen Kreativität für das Funktionieren der Gesellschaft als ganzes denkt. Ein besonders anschauliches Beispiel ist hier der Verfall der physischen Volkswirtschaften in Nordamerika, West- und Mitteleuropa in den letzten 40 Jahren von 1968 bis 2008.

In den Vereinigten Staaten im besonderen sind dabei folgende Faktoren besonders bemerkenswert. Erstens ist über diesen gesamten Zeitraum die Masse der Grundinfrastruktur der Wirtschaft immer weiter netto geschrumpft, ohne daß Ersatz geschaffen wurde. Hinzu kommt seit Anfang der siebziger Jahre ein katastrophaler Rückgang der realen Arbeitsproduktivität pro Kopf und pro Quadratkilometer. Ein ähnlicher Verfall ist charakteristisch für West- und Mitteleuropa, ganz besonders seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, auf den in den neunziger Jahren mit der Politik, die Großbritannien und François Mitterrands Frankreich anfingen und die USA unter George Bush senior aufgriffen, ein systematischer Ausverkauf folgte.

Die wichtigsten, noch heute wirkenden Faktoren bei diesem Niedergang waren 1. der Wechsel zum „nachindustriellen“ Trend bei Investitionen und Beschäftigung seit dem katastrophalen Ruin der US-Binnenwirtschaft unter der von David Rockefellers Trilateraler Kommission gesteuerten Regierung Carter 1977-81; und 2. der Wechsel zur „Globalisierung“, den die britische Regierung unter Premierministerin Margaret Thatcher mit dem französischen Präsidenten François Mitterrand als Komplizen durch den Maastricht-Vertrag in Gang setzte.

Um es kurz zu machen, die transatlantische Bevölkerung wurde zu einem schon jetzt wirtschaftlich katastrophalen Grade „verdummt“. In den Vereinigten Staaten breitet sich ein immer schlimmeres funktionales Analphabetentum aus, und die massiv verdummte und computergeschädigte Bevölkerung im Alter zwischen 18 und 25 Jahren läßt an der Hoffnung auf die Zukunft der Nation zweifeln. Der Anteil an ehemaligen Arbeitskräften, die noch eine Kompetenz in produktiven Berufen besaßen, schwindet durch Tod und anderen natürlichen Abgang. Unsere Universitäten haben sich in dieser Hinsicht in wahre Katastrophengebiete verwandelt, während in den Grund- und weiterführenden Schulen eine Politik unter [G.W. Bushs Motto] „kein Kind darf zurückbleiben“ die Bildung an sich so primitiv gemacht wurde, daß immer mehr Schüler einfach geistig völlig versagen.

Die schlimmsten Folgen stehen hier auf einer Ebene mit dem praktisch gehirnwäscheartigen Einfluß der gegenwärtigen „Umweltschutz“-Sekten.

Sämtliche Faktoren gesellschaftlicher Dynamik, die Einfluß auf die Wachstumsrate der realen Nettoproduktion pro Kopf und pro Quadratkilometer haben, wurden so verändert, daß sie nach unten weisen. Die Folge ist, daß die reale, physische Produktion auf der Welt, von der das Überleben der Weltbevölkerung abhängt, unter das Niveau gefallen ist, das erforderlich wäre, um eine Bevölkerung von annähernd dieser Größe für die gegenwärtige Generation, also etwa die nächsten 20 Jahre, zu erhalten. Die Welt als ganze erlebte einen langfristigen Übergang von einem physischen Nettowachstum in der Zeit vor 1967-71 hin zu einem Zusammenbruch an Umfang und Qualität der Infrastruktur pro Kopf und pro Quadratkilometer, so daß heute nicht einmal eine Weltbevölkerung der derzeitigen Größe erhalten werden kann.

Der wichtigste Faktor, auf den man seine Aufmerksamkeit richten muß, ist die potentielle Produktivität des einzelnen Mitglieds der erwachsenen aktiven Erwerbsbevölkerung. Eine gut ausgebildete und insgesamt angemessen beschäftigte Bevölkerung kann trotz aller Mängel Wachstumsschübe der potentiellen relativen Bevölkerungsdichte erzeugen, so wie es z.B. in Amerika unter Präsident Franklin Roosevelt der Fall war. Dies gilt auch, wenn große Teile der Bevölkerung keine auffallende wissenschaftliche oder künstlerische Kreativität an den Tag legen, aber doch die Fähigkeit besitzen, die von relativ wenigen kreativen Köpfen vollbrachten Entdeckungen aufzunehmen und anzuwenden.

Nicht das Lernen bestimmt den Fortschritt, sondern die Kreativität. Dabei wird der Nutzen der Kreativität für die Bevölkerung nicht nur durch die verhältnismäßig wenigen Menschen umgesetzt, die wirklich schöpferisch im Sinne der Wissenschaft oder der klassischen Kunst sind, sondern auch durch die Mitwirkung des größeren Teils der Bevölkerung, der fähig ist und in die Lage versetzt wird, sich an der Ausbreitung und Nutzung dieser schöpferischen Beiträge zu beteiligen.

Dieser Fortschritt erfordert allerdings Kapitalverbesserungen des produktiven Potentials pro Kopf und Quadratkilometer sowie Verbesserungen der grundlegenden wirtschaftlichen Infrastruktur, welche die reale Arbeitsproduktivkraft pro Kopf und pro Quadratkilometer erhöhen. Die große Überlegenheit moderner Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnen und Magnetschwebe-Verkehrssysteme gegenüber dem Straßenverkehr und die gewaltige Überlegenheit der Kernkraft (pro Kopf und pro Quadratkilometer) gegenüber primitiveren Energiequellen bei gleicher Anzahl erzeugter Kalorien sind wichtige Illustrationen dieses Punktes.

Aber selbst wenn man diese allgemeinen Wahrheiten berücksichtigt, bleibt immer noch die Notwendigkeit, klarer verständlich zu machen, wie die individuelle Kreativität an sich funktioniert.

Der kreative Geisteszustand

Der kreative Geisteszustand eines individuellen Menschen kommt, wenn er vorhanden ist, vor allem auf zwei Ebenen zum Ausdruck. Der eine, höchste, für den Keplers Werk und Albert Einsteins Verständnis dieses Werks typisch sind, ist derjenige, der mit dem Vorgang der ersten Entdeckung (oder der Neuentdeckung) eines universellen Naturprinzips verbunden ist. Solche Fälle waren bisher relativ selten. Für den zweiten, häufigeren Fall steht der einsichtsvolle Mensch, dessen Handeln darauf beruht, daß er sein Verständnis des geistigen Nachvollziehens früherer Entdeckungen von Prinzipien ständig weiterentwickelt und daß er weiß, daß die praktischen Verhältnisse im Universum durch die bisher vorhandenen Entdeckungen solcher Prinzipien begrenzt werden.

In beiden Fällen hat der Betreffende für angeblich „selbstevidente“ Folgerungen aus menschlichen Sinneswahrnehmungen, wie etwa die der Elemente des Euklid, nur Verachtung übrig.

Im ersten Fall fühlen sich die herausragenden Wissenschaftler als Ergänzung zu ihrem geistigen Leben als kreative Forscher auch fast immer stark von der klassischen Kunst in verschiedener Form angezogen, insbesondere von der klassischen Musik. So war es etwa bei dem Wissenschaftler und sehr fähigen Amateurgeiger Albert Einstein, der vor Adolf Hitlers Machtübernahme einen Gottesdienst in der großen Synagoge von Berlin begleitete. Nach meiner persönlichen Erfahrung zeigt jemand, der ein Wissenschaftler sein will oder ernsthaft werden möchte, der aber keine enge Bindung an die klassische Kunst und besonders die klassische Musik spürt, meist schon bald schwere Mängel in seinem wissenschaftlichen Denken. Für den großen oder beinahe großen wissenschaftlichen Geist sind die Loyalitäten zur Wissenschaft und zur klassischen Kunst untrennbar miteinander verbunden. Man kann die Regel, die hier zum Ausdruck kommt, vielleicht so zusammenfassen: Wahre menschliche Kreativität ist niemals feindselig gegen sich selbst.

Wenn man das als Ausgangspunkt nimmt, sollte es im Prinzip nicht schwer sein, auszumachen, wo die Ursachen des moralischen Verfalls der Maßstäbe in Wissenschaft und Kunst in Amerika und Westeuropa in der Zeit seit Präsident Franklin Roosevelt liegen. Eindeutig bösartige Figuren wie Aleister Crowley, H.G. Wells und Bertrand Russell stehen beispielhaft für die Einflüsse, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Mussolinis und Hitlers hervorbrachten. Russell, seine Klone Norbert Wiener und John von Neumann und pro-satanische Existentialisten wie Theodor Adorno und Hannah Arendt, die anglo-amerikanischen Operationen um den Kongreß für kulturelle Freiheit in Frankreich und anderen europäischen Ländern waren die wichtigsten Einflüsse in dem allgemeinen kulturellen Niedergang. Der zunehmende geistig-moralische Verfall in unseren Institutionen und in der sogenannten populären Kultur ist dann eng verbunden mit dem Verfall in Naturwissenschaften, Kunst und Moral bei den sogenannten „68ern“, deren Einfluß seit damals in den wichtigsten Institutionen Europas und Nordamerikas immer mehr vorherrschend wurde.

Typische warnende Anzeichen für diesen moralischen und intellektuellen Abwärtstrend nach dem Zweiten Weltkrieg waren der radikale Reduktionismus des „Kybernetik“-Projektes der Josiah Macy Foundation und der damit verbundene schädliche Einfluß der Opfer der Professoren Norbert Wiener und John von Neumann. Die Informationstheorie verdrängte die Wissenschaft, und statt Musik gab es die Auswüchse der Experimente mit Nichtmusik in den vierziger Jahren, wie beispielsweise Kompositionen für sog. „präpariertes Klavier“.

Der reale Niedergang unserer transatlantischen Kultur, unter dem die Bevölkerung auf beiden Seiten des Atlantiks und anderswo heute so schrecklich leiden muß, ist die Frucht eines Baumes von existentiellem Irrationalismus. Wahre Wissenschaft, wahre Kunst und die Tradition des Amerikanischen Systems von Präsident Franklin Roosevelt und seinen Vorläufern in der Politik wurde Schritt für Schritt verdrängt. Der Irrationalismus setzte sich in den politischen Entscheidungen der amerikanischen Bundesregierungen durch, und so wurde die anscheinend herrschende Mehrheit der Superreichen und ihrer Speichellecker dazu verleitet, den derzeitigen transatlantischen Marsch in die Hölle eines neuen finsteren Zeitalters anzutreten.

Indem man Dinge wie das Urinieren auf einem belebten Bürgersteig als „Kunst“ verkaufte und Travestien vergleichbaren Ursprungs als geistigen Ausdruck des Zeitgeschmacks bezeichnete, ging unsere Gesellschaft, jedenfalls ein sehr bedeutender und einflußreicher Teil von ihr, einen Weg der Rückentwicklung zur Nicht-Kreativität. Das hat heute den ganzen Planeten an den Beginn einer Reise in ein planetares neues finsteres Zeitalter über mehrere Generationen geführt.

Die Kreativität selbst - wahre, menschliche Schöpferkraft, wie ich sie hier definiert habe -, zeigt den wahren Unterschied zwischen Mensch und Tier und zwischen einem moralischen Bürger und einem typisch verkommenen Existentialisten.

Eine große Nation zeichnet sich nicht durch ihre gerade populären Meinungen aus, sondern durch die Entschlossenheit, durch schöpferische Neuerungen über diese Ebene hinauszukommen. In dieser Hinsicht ist Kreativität kein Mittel zu einem Zweck, sondern sie ist ihrem Wesen nach schon an sich ein unsterblicher Zweck. Man schöpft große Kunstwerke, weil sie große Kunstwerke sind. Das Motiv dafür, die Wohltaten des wissenschaftlichen Fortschritts zu fördern, ist eine Leidenschaft für wissenschaftliche Entdeckung und den Fortschritt an sich. Wenn wir wirklich menschlich in unserer Hingabe für die Menschheit sind, tun wir sterblichen Wesen diese Dinge, weil sie gut sind - weil das Gute schöpferisches Handeln wachruft und immer zum Fortschritt führt.

Jawohl, wir stellen uns große Aufgaben, als wäre eine solche große Mission eine Form der Kunst, die jede Generation als Ausdruck ihres Bedürfnisses, Gutes für künftige Generationen zu tun, für sich selbst neu entwickeln sollte. Aber wie Cotton Mather sagte, tun wahre Bürger „Gutes“ nicht, „weil ich dies oder jenes erreichen will“, sondern wir finden im wesentlichen das Gute in uns selbst, um in unserer Zeit etwas zu leisten, was der Nachwelt zum Vorteil gereicht.

Es sind nicht mathematisch gesetzte Ziele, die den Fortschritt bewirken - es ist die Liebe zur Menschheit und zu ihren natürlichen schöpferischen Fähigkeiten, wie sie in dem gemeinsamen Prinzip, das Komposition in der klassischen Kunst und im naturwissenschaftlichen Fortschritt zu einer einzigen Leidenschaft verbindet, zum Ausdruck kommen. Wenn man nicht wie ein klassischer Künstler denkt, ist man kein wirklicher Wissenschaftler; und wenn ein Künstler sich nicht dem Nutzen der Menschheit durch wissenschaftlichen Fortschritt verpflichtet fühlt, dann ist auch seine Kunst oberfaul.

Soweit wir heute die Geschichte der europäischen Zivilisation seit Beginn des ersten vorchristlichen Jahrtausends kennen, war das große Problem in dieser gesamten Zeit immer, daß die Entwürfe der Gesellschaftsordnung und das für die Menschen vorgesehene Schicksal anti-prometheisch waren, wie es Aischylos anhand des olympischen Zeus beschreibt und wie es heute der korrupte frühere US-Vizepräsident Al Gore will. Die breite Masse der Bevölkerung wird auf den Status menschlichen Viehs herabgewürdigt, und die Wissenschaft ist nur ein bißchen Routine, wie bei Galeerensklaven, die gelernt haben, die Kunst und Aufgabe zu praktizieren, die ihnen der Mann mit der Trommel und der Peitsche in der Hand zugewiesen hat.

Die Mission der Wissenschaft ist nicht, irgendeine zugewiesene, stumpfsinnige Plackerei erfolgreich zu absolvieren, sondern die Freude, als Männer und Frauen, die nach dem Ebenbilde Gottes geschaffen sind, an der Schöpfung teilzuhaben. Deshalb müssen wir Menschen die schöpferische Kraft in uns pflegen; wir müssen erkennen, daß die Kreativität selbst unsere wesentliche, unsterbliche Mission in der Spanne unseres individuellen, sterblichen Lebens ist. Die Liebe zur Wissenschaft und zu den klassischen Künsten muß die Leidenschaft und treibende Kraft sein, die uns motiviert, unserer Liebe für unsere Nation und für die ganze Menschheit Ausdruck zu verleihen.

Es ist Zeit, daß Sie zuallererst wieder wahrhaft Mensch werden. Darin liegt das Geheimnis wahrer Kreativität und damit auch aller wahren Wissenschaft.


Anmerkungen

46. Insbesondere in seiner Habilitationsschrift von 1854.

47. Aus dem gleichen Grund ist ein striktes Festhalten an der Belcanto-Höhe der Singstimme (bei dem natürlichen Wert von c’=256 Hz) ausschlaggebend, um bei der Komposition und Aufführung von Musik klare Ideen zu vermitteln. Alles, was grundlegend menschlich ist, liegt in der Absicht des Geistes, für den der physische Ausdruck lediglich das Schattenreich ist.

48. Zum Beispiel können wirklich wichtige, bezweckte musikalische Ideen großer klassischer Komponisten ohne diese von der menschlichen Singstimme auf andere Musikinstrumente wie das Klavier oder die Geige übertragenen Randbedingungen bei der Aufführung nicht übermittelt werden. Das gleiche gilt auch für die Bühne des klassischen Theaters.

49. In Defense of Poetry.

50. William Empson benutzte in seinem Buch Seven Types of Ambuguity den Ausdruck „Ambiguität“, der den gesamten Bereich qualitativer Ausdrücke von Ironie umfaßt.

51. D.h., „das Unglaubliche bei der Verfolgung des Unverdaulichen“.

Lesen Sie hierzu bitte auch:
Der Betrug des „Freihandels“ - Teil 4
- Neue Solidarität Nr. 38/2008
Der Betrug des „Freihandels“ - Teil 3
- Neue Solidarität Nr. 37/2008
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