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Aus der Neuen Solidarität Nr. 36/2008 |
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Dokumentation. Wer den Konflikt um Georgien und im Kaukasus verstehen will, darf vor allem einen Fehler nicht machen: die Perspektive zu sehr einzuengen. Die folgende Zusammenfassung von Stellungnahmen führender russischer Politiker, Diplomaten und Militärs soll helfen, den richtigen Weitwinkel zu finden.
Die
jüngsten Neuigkeiten aus Georgien dürften auch dem naivsten Beobachter die
Vorstellung austreiben, daß hier das „kriegslüsterne Rußland“ das „kleine
demokratische Georgien“ unterdrückt. So enthüllte die erste Außenministerin des
georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili, die frühere französische
Diplomatin Salomé Sourabachwili, sie sei geschaßt worden, weil sie auf eine
friedliche, diplomatische Lösung des Konflikts mit den autonomen Regionen
hinarbeitete. Dann läuft zunehmend das Gerücht um, daß der frühere
Parlamentssprecher Nino Burjanadse bei der nächsten Präsidentenwahl den
unberechenbaren Saakaschwili herausfordern wird. Schließlich hat einer der
angesehensten Oppositionsführer, Schalwa Natelaschwili von der Arbeitspartei,
eine Untersuchung darüber begonnen, ob die Saakaschwili-Clique in der Krise
möglicherweise Milliarden auf die Bahamas und die Kanarischen Inseln geschafft
hat.
Man
könnte fast darüber lachen, wäre Georgien nicht Teil eines todernsten,
strategischen Spiels der Briten und ihrer Marionetten zur Einkreisung Rußlands.
Deshalb ist es nützlich, Rußlands Reaktionen auf diesen Vorstoß und die Gefahren
einer weiteren Eskalation in der gesamten Region an Rußlands West- und
Südflanke (und darüber hinaus) noch einmal näher zu betrachten.
Reaktion
des russischen Außenministeriums auf US-Außenministerin Rice: Am 22. August
antwortete das Außenministerium schriftlich auf eine Frage zu Äußerungen von
US-Außenministerin Condoleezza Rice vom 18. August; Rice hatte gesagt, die
Langstreckenflüge der russischen Luftwaffe vor der US-Küste seien ein
„gefährliches Spiel“ und außerdem völlig unnötig. Das Ministerium antwortete,
die Landstreckenflüge seien im vorigen Jahr wiederaufgenommen worden, nachdem
man dies öffentlich angekündigt und die zuständigen Stellen informiert habe.
Weiter heißt es, vielleicht habe das Pentagon das eigene Außenministerium nicht
darüber informiert, daß die USA selbst die Langstreckenflüge ihrer Luftwaffe
niemals eingestellt und weiterhin strategische Bomber in „vorgeschobenen
Positionen“ in aller Welt außerhalb der Vereinigten Staaten stationiert haben.
Schließlich wird die Frage gestellt, wenn die Übungsflüge der strategischen
Bomber ein „gefährliches Spiel“ seien, was sei dann „das Auftauchen
strategischer Raketenabwehrsysteme der USA in unmittelbarer Nachbarschaft zu
Rußlands Grenzen“?
Am
15. August stimmte Polen der Stationierung von Komponenten eines weltweiten
Raketenabwehrsystems der USA zu. US-Außenministerin Rice und ihr polnischer
Kollege Radoslaw Sikorski unterzeichneten am 20. August in Warschau ein
entsprechendes Abkommen. Nach Angaben des State Department wird dieses Abkommen
den USA erlauben, „eine Einrichtung, die zehn bodengestützte
Raketen-Abfangraketen enthält, zu bauen, zu unterhalten und zu betreiben. Die
Vereinigten Staaten und Polen werden ein separates Abkommen aushandeln, welches
den Status der auf polnischem Territorium eingesetzten US-Streitkräfte klärt.“
Rußland reagierte mit den folgenden harten, aber sorgfältig durchdachten
Erklärungen und Maßnahmen:
15.
August:
Beim täglichen Bericht über die Krise in Südossetien beantwortet der stellv.
Generalstabschef der russischen Streitkräfte, Gen. Anatolij Nogowisin, eine
Frage nach der Stationierung amerikanischer Raketenabwehr-Batterien in Polen. Interfax
zitiert ihn: „Die USA betreiben eine Raketenabwehr für ihre eigene Regierung,
nicht für Polen. Und Polen öffnet sich durch diese Stationierung einem
Militärschlag.“
16.
August: Der
russische Botschafter bei der NATO, Dmitrij Rogosin, nennt die US-Raketenabwehr
einen Rohrkrepierer („tote Katze“) - ob sie ihren Zweck erfülle, könne man erst
durch einen atomaren Schlagabtausch erfahren. Die beschleunigte Unterzeichnung
der Vereinbarung bestätige nur, daß Rußland das eigentliche Ziel des
Raketenschildes sei. „Man sollte den Polen dafür danken, daß sie geholfen
haben, das strategische Ziel des amerikanischen Raketenabwehrplans deutlich zu
machen“, sagte er gegenüber RIA Novosti. Tatsächlich hat, wie Neue
Solidarität (37/2007) im vergangenen Jahr berichtete, eine Gruppe
amerikanischer Wissenschaftler in einer Analyse überzeugend dargelegt, daß in
Polen stationierte Abfangraketen in Verbindung mit Radaranlagen in Tschechien
russische Atomraketen im Flug abfangen könnten. Damit könnte man nicht das
gesamte russische Kernwaffenarsenal ausschalten, aber es kann die Hemmschwelle
zum atomaren Weltkrieg senken.
20.
August:
Der russische Präsident Dmitrij Medwedjew empfängt in Sotschi den Präsidenten
Weißrußlands, Alexander Lukaschenko. Wie der Kreml-Mitarbeiter Sergej Prichodko
ankündigt, werden die beiden Präsidenten im Herbst eine Vereinbarung über die
Schaffung eines gemeinsamen Luftabwehrsystems schließen. Weißrußland liegt
zwischen Polen und Rußland und ist das größte Land Osteuropas, das keinen
Antrag auf eine Mitgliedschaft in der NATO gestellt hat.
21.
August:
Das russische Außenministerium veröffentlicht eine offizielle Erklärung zur
Unterzeichnung des Vertrages durch Rice und Sikorski. Darin verweist es auf die
gesamte „Entwicklung der militärischen und politischen Lage in Europa, wodurch
die strategischen Kapazitäten der Amerikaner immer näher an unsere Grenzen
herangerückt sind“. Die neue Radaranlage in der Tschechischen Republik „deckt
praktisch den gesamten europäischen Teil unseres Territoriums ab“, und die
Abfangraketen in Polen „haben keine anderen Ziele als die russischen
Interkontinentalraketen, und sie werden auf absehbare Zeit auch keine anderen
haben“.
Die
vorgezogene Vertragsunterzeichnung in Polen wird mit den Ereignissen im
Kaukasus in Verbindung gebracht: „Lange Zeit wurde uns versichert, daß die
amerikanischen Vorbereitungen für eine Raketenabwehr sich nicht gegen Rußland
richteten... Wir können nicht die Tatsache übergehen, daß Washington uns,
während es Georgien jahrelang mit Waffen vollstopfte, stets versicherte, dies
richte sich nicht gegen Rußland. Nun, da durch das irrationale Verhalten der
georgischen Führung Tausende von Menschen in Südossetien und Rußland,
darunter russische Friedenstruppen, getötet und verletzt wurden, wird zunehmend
offensichtlich, was solche Beteuerungen wert sind.“
Gleichzeitig
hält das Außenministerium aber die Möglichkeit offen, zu ernsthaften Gesprächen
über die Raketenabwehr zurückzukehren. Im vergangenen Jahr hatte es dazu eine
große diplomatische Offensive des damaligen Präsidenten Wladimir Putin bei
seinem Besuch auf dem Sommersitz der Familie Bush in Kennebunkport/Maine
gegeben. „Selbst in dieser schwierigen Lage“, heißt es in der Erklärung, „haben
wir nicht die Absicht, den Dialog aufzugeben, und sind bereit, mit allen
interessierten Parteien in dieser Frage zusammenzuarbeiten.“
Mehrere
diplomatische Schritte und Erklärungen Moskaus waren ausdrücklich eine
kombinierte Reaktion auf Georgiens Angriff auf Südossetien und die Einigung
über die Stationierung der Raketenabwehr. Am 19. August verurteilte der
NATO-Rat Rußland wegen der Militäraktionen, mit denen es auf den georgischen
Angriff reagiert hatte.
20.
August:
Rußlands NATO-Botschafter Rogosin stellt westlichen Medien gegenüber die Frage:
„Sind Sie bereit, Ihren Reichtum und Ihr Leben und das Leben Ihrer Kinder für
Saakaschwili aufs Spiel zu setzen?“ Saakaschwili sei ein Kriegsverbrecher, der
in Südossetien Zivilisten und russische Friedenstruppen bombardiert habe. Hätte
die NATO Georgien als Mitglied aufgenommen, betonte Rogosin, befände sich das
westliche Bündnis schon offiziell im Kriegszustand mit Rußland.
Einer
seiner Mitarbeiter erklärt gegenüber der Nachrichtenagentur Nowosti, der
Botschafter sei nach Moskau zurückberufen worden - „zu Konsultationen mit der
russischen Führung über das gesamte Spektrum der Beziehungen zwischen der
Russischen Föderation und dem Nordatlantikpakt, einschließlich der
militärischen Zusammenarbeit“.
21.
August:
Außenminister Sergej Lawrow richtet in einem Gastkommentar im Wall Street
Journal eine unangenehme Botschaft an die US-Elite. Der Artikel trägt die
Überschrift „Amerika muß zwischen Georgien und Rußland wählen“. Lawrow schreibt
darin: „Wir werden uns weiter bemühen, dem georgischen Regime das Potential und
die Ressourcen zu nehmen, weiteres Unheil zu stiften. Ein Embargo auf
Waffenlieferungen an das gegenwärtige Regime in Tiflis wäre ein Anfang.“
Lawrow
äußert die Hoffnung, daß die amerikanisch-russischen Beziehungen nicht
aufgegeben werden: „Rußland ist zur weiteren positiven Entwicklung der Beziehungen
zu den Vereinigten Staaten entschlossen... Unsere bilaterale Beziehung kann nur
auf der Grundlage der Gegenseitigkeit voranschreiten... Genau das meine ich,
wenn ich sage, die USA werden zwischen ihrem virtuellen Georgien-Projekt und
ihrer viel breiteren Partnerschaft mit Rußland wählen müssen.“
21.
August:
Rußland verkündet das „Einfrieren“ der militärischen Zusammenarbeit mit der
NATO und ihren Verbündeten. Das betreffe alle für 2008 geplanten gemeinsamen
Aktivitäten, einschließlich der gemeinsamen Manöver. Russische Vertreter
kontaktieren die norwegische Botschaft in Moskau, und anschließend kündigt
Norwegens Botschafter an, er erwarte eine schriftliche Erklärung über eine
Absage der Manöver, an denen Norwegen und Rußland beteiligt sein sollten. Rußland
hat auch seine Beteiligung am NATO-Marinemanöver „Open Spirit 2008“ in der
Ostsee abgesagt, nachdem es seit 2003 daran regelmäßig teilgenommen hatte. Der
geplante Besuch einer Fregatte der US-Marine im Fernosthafen
Petropawlowsk-Kamtschatskij wird ebenfalls abgesagt.
21.
August:
General Nogowisin richtet sich durch ein Interview mit der italienischen
Tageszeitung La Repubblica an ein internationales Publikum und zieht die
Verbindung zwischen dem georgischen Angriff und dem US-polnischen
Raketenabwehrvertrag: „Wollen Sie wissen, warum Washington es so eilig hat, die
Raketen in Polen zu stationieren? Weil es nicht erwartet hat, daß Rußland so
schnell handeln kann, um seine Verbündeten im Kaukasus zu verteidigen...
Monatelang wollten die Vereinigten Staaten Moskau und der internationalen
öffentlichen Meinung einreden, dieses Projekt solle den Westen vor möglichen
iranischen Angriffen schützen. Nun, das wahre Ziel ist - wie Condoleezza Rice
selbst zugeben mußte -, Europa vor Rußland zu schützen.“
Es
gab mehrere Warnungen russischer Quellen vor einer drohenden neuen Eskalation
der Angriffe auf die russischen Friedenstruppen in und um Südossetien sowie
Hinweise auf potentielle neue Provokationen, möglicherweise in Aserbaidschan oder
Rußlands größtem Nachbarland, der Ukraine.
20.
August:
Rußland schließt bis auf weiteres seine Grenzen zu Georgien und Aserbaidschan.
Interfax zitiert den Chef des Nachrichtendienstes FSB, Alexander Bortnikow,
Rußland habe Informationen, daß „georgische Sondereinsatztruppen
Terroranschläge“ gegen strategische Einrichtungen in Rußland planten. Sie
mobilisierten „Banditengruppen, um kriminelle Aktionen im Nordkaukasus
durchzuführen“, d.h. den autonomen russischen Republiken an den Grenzen von
Georgien und Aserbaidschan.
22.
August: Anatoli
Serdjukow gibt bekannt, der Abzug der zusätzlichen russischen Truppen aus
Südossetien sei abgeschlossen, und es verbleibe nur das Kontingent der
russischen Friedenstruppen, das schon vor dem georgischen Angriff am 7./8.
August dort gewesen sei. Die russischen Truppen, die weiter nach Georgien
eingerückt waren, hätten Positionen in einer Sicherheitszone um Südossetien
bezogen. Dies entspreche dem 5. Prinzip des am 12. August zwischen Medwedjew
und Frankreichs Präsident Sarkozy ausgehandelten Sechspunkte-Abkommens, wonach
die russischen Friedenstruppen „zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen“ treffen
könnten, bis eine allgemeine politische Lösung gefunden sei.
22.
August:
General Nogowisin erklärt in einem Pressegespräch, die Lage in der Konfliktzone
sei „weit davon entfernt, stabil zu sein“. Die georgischen Truppen würden sich
in Zentralgeorgien umgruppieren und ihre Kampffähigkeit wiederherstellen. Nach
Rußlands Einschätzung „laufen gezielte Vorbereitungen für weitere Aktionen in
der Region“.
22.
August:
Der frühere hohe Beamte im US-Außenministerium, Richard Holbrooke, zeigt bei
einem Besuch in Tiflis seine bekannte Neigung (wie seine Genossin
Madeleine Albright) zur Manipulation von Krisen. In einem Gastkommentar in der Washington
Post fordert er „massive wirtschaftliche und militärische Unterstützung“,
um Saakaschwili an der Macht zu halten. Die Ukraine und Aserbaidschan seien
„wahrscheinlich die nächsten Ziele russischer Einschüchterung und/oder
Gewalteinsatzes“.
Daß
Holbrooke Aserbaidschan prominent erwähnt, ist angesichts der Äußerungen eines
anderen zwielichtigen früheren Mitarbeiters des US-Außenministeriums, Paul
Goble, ominös. Er hatte am Tag zuvor in Voice of America einen
Bombenanschlag kommentiert, der sich gerade in Aserbaidschans Hauptstadt Baku
ereignet hatte. Goble präsentierte gleich ein ausgeklügeltes Szenario: „Dieses
Ereignis scheint außergewöhnlich gefährlich zu sein. Unabhängig davon, wer
hinter diesen Terroristen steckt, kann der Anschlag auf die Abu-Bekr-Moschee
sehr leicht als eine russische oder armenische Provokation verstanden werden,
um einen Konflikt zwischen Aserbaidschan und dem Iran auszulösen und dann einen
Vorwand für eine russische Intervention in Aserbaidschan zu liefern.“ Goble -
ein langjähriger Spezialist für die Manipulation der Konflikte in Zentralasien
und im Kaukasus - beschrieb weiter, wie sich ein solcher Zwischenfall zu einem
größeren Konflikt ausweiten könnte, in dem die USA und Aserbaidschan auf der
einen und der Iran auf der anderen Seite stünde.
Goble
behauptete, russische Diplomaten in Baku hätten Aserbaidschan gedroht, es solle
aus den Ereignissen in Georgien die „Lehren ziehen“. Dagegen gab das russische
Außenministerium am 22. August bekannt, Lawrow habe mit dem aserbaidschanischen
Außenminister telefoniert, mit einem „konstruktivem Gespräch über die jüngsten
Vorschläge für eine institutionalisierte multilaterale Interaktion im
Transkaukasus“. Dazu gehört die Kaukasus-Initiative des türkischen
Ministerpräsidenten Erdogan. Er hatte sich kurz vor dem Bombenanschlag aus
Moskau kommend in Baku aufgehalten, während auch die Türkei selbst Schauplatz
einer neuen Runde von Anschlägen war.
21.
August:
Natalja Witrenko, die Vorsitzende der Progressiven Sozialistischen Partei der
Ukraine (PSPU) gibt eine Pressekonferenz nach ihrer Rückkehr aus Tschkinwali in
Südossetien, wohin sie eine Gruppe von PSPU-Mitgliedern, die sich als
freiwillige Helfer gemeldet hatten, begleitet hatte. Witrenko ist derzeit die
bekannteste Gegnerin eines NATO-Beitritts der Ukraine und versucht, die
NATO-Manöver im Schwarzen Meer zu verhindern. Laut einer Presseerklärung der
PSPU äußerte sie ihre Sorge, NATO-freundliche Kräfte in der ukrainischen
Regierung könnten um die russische Schwarzmeerflotte in Sewastopol auf der Krim
einen „Zwischenfall nach Art des Reichstagsbrandes“ inszenieren, „um dann
Rußland Aggression vorzuwerfen und die Streitkräfte der NATO-Staaten gegen
Rußland zu werfen“.
Gen.
Nogowisin sagt bei seiner Pressekonferenz, falls es zu Terroranschlägen gegen
die Schwarzmeerflotte komme, würden die russischen Streitkräfte angemessen
reagieren. Das gelte auch für größere Provokationen, welche die Funktion der
Flotte beeinträchtigen.
Die
Russen warnen auch vor Zwischenfällen infolge der überproportionalen Konzentration
von NATO-Schiffen zu einem angeblichen „Routinemanöver“ unmittelbar vor der
russischen Schwarzmeerküste. Die Ausweitung des Manövers wurde nicht näher
begründet. Zusätzlich schickte die NATO eine polnische Fregatte und einen
US-Zerstörer durch den Bosporus. Die russische Marine kündigte daraufhin an,
sie werde ihre Sicherheitspatrouillen vor der Küste von Abchasien und Georgien
fortsetzen, und äußerte gleichzeitig Zweifel daran, daß NATO-Schiffe im
Schwarzen Meer sein müßten. Man werde jedenfalls schnell auf irgendwelche
Provokationen gegen die Schwarzmeerflotte reagieren.
26.
August:
Medwedjew entscheidet, ein Dekret zu unterzeichnen, mit dem Rußland die einige
Tage zuvor erfolgte Erklärung der Süd-Osseten und Abchasen zur Unabhängigkeit
von Georgien anerkennt. Wie der russische Präsident in einer ganzen Reihe
von Interviews mit Fernsehsendern westlicher Länder ausführte, erfolgte die
Anerkennung gemäß geltendem Völkerrecht und gemäß der
entsprechenden Passagen der Charta der Vereinten Nationen. Drohungen seitens
des Westens und der NATO im besonderen wies Medwedew zurück mit der Anmerkung,
Rußland wolle keinen neuen Kalten Krieg, aber es sei darauf vorbereitet, falls
der Westen und die NATO eine solche Verschlechterung der Beziehungen unbedingt
wollten.
Rußlands
Premierminister Putin fügte in einer Erklärung am gleichen Tag hinzu, seine
Regierung betrachte die Frage der Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation
genauso: Rußland könne gut ohne die WTO leben, zumal ohnehin aufgrund der
veränderten Welternährungslage der russischen Agrarerzeugung eine größere Rolle
als Exporteur zukomme, als das in den vorher getroffenen Vorvereinbarungen mit
der WTO reflektiert sei. Auch plane die russische Regierung, die eigene
Landwirtschaft stärker zu unterstützen - was den Bedingungen der WTO
zuwiderlaufe.
27.
August: Medwedjew
reagiert auf Forderungen des französischen Außenministers Kouchner, die EU
solle Sanktionen gegen Rußland verhängen, mit dem Kommentar, das sei eine
„kranke Idee.“
27.
August: Am
gleichen Tag warnt General Iwaschow, einer der profiliertesten
Militäranalytiker Rußlands, der früher im dortigen Verteidigungsministerium
tätig war, vor einer neuen kritischen Zuspitzung der Weltlage wie in der
Kubakrise von 1962. Iwaschow sagte, die Krise in Georgien könne außer Kontrolle
geraten, und er könne „nicht ausschließen, daß unsere Beziehungen mit dem
Westen auf den Stand von 1962 zurückfallen, das heißt, die Karibische Krise.
Die Äußerungen Iwaschows erhielten prominente Aufmerksamkeit in den russischen
Medien, und die Wirtschaftszeitung Wzglyad schrieb am 29. August: „Wir
sehen, daß gewisse strategische Vorbereitungen in den USA und in den
NATO-Ländern getroffen werden. An welchem Punkt sie anhalten werden, ist schwer
zu sagen. Der lokale Georgien-Konflikt war keine begrenzte Sache, sie ist nur
der Auslöser für ein großes und komplexes Spiel, eine geopolitische Operation.
Daß diese im Kern anti-russisch ist, steht außer Zweifel.“
28.
August:
Große Aufmerksamkeit erregt eine Stellungnahme des vorübergehend aus Brüssel
abberufenen russischen Botschafters bei der NATO Rogosin, der kurz vor seinen
Äußerungen zur Weltlage in Sotschi mit Medwedew zusammengetroffen war.
Rogosin erinnert in seinen Anmerkungen über die Gefahren der gegenwärtigen Lage
an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 (im englischen
Sprachgebrauch als „Guns of August“ bezeichnet). Er verglich den
georgischen Staatschef Mikhail Saakaschwili mit Gavrilo Princip, dem
bosnisch-serbischen Attentäter des österreichischen Erzherzogs Ferdinand im
Juni 1914 in Sarajevo, dem Beginn des Ersten Weltkrieges. Rogosin wörtlich:
„Wenn eine Person es auf sich nimmt, ein Provokateur zu sein oder sich
entscheidet, so eigenartig in die Geschichte einzugehen, wie Saakaschwili das
getan hat, kann er damit globale Systeme zwingen, aufeinanderzuprallen. Durch
die Handlung von Gavrilo Princip in Sarajevo entstand der erste Weltkrieg, und
Mikhail Saakaschwili, der sich seine Lorbeeren verdiente, versucht dasselbe.
Laßt uns hoffen, daß das nicht passiert.“
Dieser
historische Vergleich ist sehr angemessen, zumal Princip unter der Kontrolle
eines serbischen Geheimdienstagenten in britisch-pan-slawischen Netzwerken
operiert hatte und mit seiner Tat als „Finger am Abzug“ die langfristigen
imperialen Pläne von Großbritanniens Edwards des VII. und seiner Geheimdienste
zur Zerstörung des österreichischen Kaiserreiches und der anderen
Staatsstrukturen in Kontinentaleuropa in Gang setzte.
Rachel Douglas/Rainer Apel
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