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Aus der Neuen Solidarität Nr. 31/2008 |
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Manifest für ein demokratisches Europa
Im Wortlaut. In Österreich haben bekannte Persönlichkeiten aus verschiedenen politischen Richtungen in der Wiener Tageszeitung „Die Presse“ ein „Manifest für ein demokratisches Europa“ veröffentlicht, in dem sie eine umgehende Einstellung des Ratifizierungsprozesses fordern. Wir bringen Auszüge.
Ein ökologisches, soziales,
zukunftsfähiges und menschenfreundliches Europa kann nur auf dem Weg
verbesserter Demokratie erreicht werden und nicht über den Abbau von
Demokratie...
Ein Ausweg aus der
gegenwärtigen Krise kann nur durch Stärkung der demokratischen Kultur gefunden
werden. Die Unterdrückung der kritischen Öffentlichkeit vertieft nur die Krise.
Dieses Manifest versteht sich als Beitrag zu einer demokratischen Diskussion
und bietet konkrete Lösungen an.
Respekt vor der demokratischen Kultur Irlands
Die Volksabstimmung in Irland
ist Ausdruck demokratischer Kultur. Das schätzen wir.
Wir respektieren die
Willensentscheidung der irischen Bevölkerung über den Vertrag von Lissabon. Sie
ist der Souverän und verdient Respekt für ihre legitime Willensäußerung, wie
jeder Souverän.
Wir weisen jeden Versuch
zurück, diese demokratische Entscheidung des einzig befragten Souveräns zu
diffamieren, zu ignorieren oder mit Abstimmungswiederholungen zu annullieren.
Wir kritisieren insbesondere
die Herabwürdigung der irischen Bevölkerung dafür, daß sie ihr Recht auf
Selbstbestimmung ausgeübt hat, das den anderen 26 Bevölkerungen verwehrt
wurde...
Sofortiger Ratifikationsstopp
Wir rufen in Erinnerung, daß
schon der Plan A der Regierungen, der EU eine „Verfassung“ zu verleihen, 2005
klar am französischen und holländischen Souverän gescheitert ist.
Plan B der Regierungen war,
den im Wesentlichen inhaltsgleichen Vertrag als „EU-Reformvertrag“ gegen den
Willen von Mehrheiten ohne Volksabstimmungen durchzusetzen. Diese Strategie ist
nun am einzigen Souverän, der abstimmen durfte, ebenfalls gescheitert. (In
Österreich verstößt nach Auffassung der Unterzeichnenden die Ratifikation des
Vertrages von Lissabon ohne Volksabstimmung gegen Art. 44 Abs. 3 des
Bundes-Verfassungsgesetzes, das im Falle einer Gesamtänderung der Verfassung
eine Volksabstimmung zwingend vorschreibt. Grundsätzlich ist in einer
Demokratie in fundamentalen Entscheidungen der Souverän die letzte Instanz.).
Plan C prominenter
EU-Politiker scheint nun zu sein, unbeirrt weiterzumachen. Das wäre nicht nur
eine weitere Mißachtung der Demokratie, sondern auch ein klarer Rechtsbruch.
Der Vertrag von Lissabon besagt selbst, daß er nur in Kraft treten kann, sofern
Ratifikationsurkunden von allen Mitgliedstaaten hinterlegt worden sind. Das ist
nach dem Nein der Iren nicht mehr möglich. Daher sind jegliche Versuche, den
Vertrag von Lissabon trotz des irischen Votums in Kraft zu setzen, schon im
Ansatz abzulehnen.
Mehr Demokratie in der Europäischen Union
Die Reaktionen der
Regierungen sind der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die vielen
Menschen in der Union wachsendes Unbehagen bereitet: Die Regierenden vertreten
in abnehmendem Maße die Interessen der Bevölkerung und immer mehr die
Interessen einflußreicher Gruppen.
Die nicht demokratisch
legitimierten EU-Institutionen dehnen die Kompetenzen der EU immer weiter aus
und entziehen gleichzeitig den Bürgerinnen und Bürgern das Recht auf
demokratische Mitgestaltung.
Insbesondere der radikale
Vorrang der so genannten „Vier Grundfreiheiten“ vor sozialen, ökologischen und
demokratischen Rechten; die Förderung von Gentechnik und Atomenergie sowie die
im Vertrag von Lissabon festgeschriebene Aufrüstungsverpflichtung entsprechen
in vielen Mitgliedsländern nicht dem Mehrheitswillen.
Ein Vertrag für 27 Länder mit
ihren unterschiedlichen Geschichten, Traditionen, Kulturen, geographischen
Gegebenheiten und Rechtssystemen ist ohne strenge Einhaltung des
Subsidiaritätsprinzips zum Scheitern verurteilt.
Lösungsvorschläge
Die Ablehnung des Vertrags
seitens der irischen Bevölkerung eröffnet die Chance eines demokratischen
Ansatzes mit breiter Beteiligung und intensiver öffentlicher Diskussion über
die Zukunft der EU.
Ein Nachfolgevertrag für den
Vertrag von Nizza darf nur für Bevölkerungen gelten, die ihm nach einer
ausführlichen öffentlichen, chancengleichen Erörterung aller Für und Wider
direkt demokratisch zustimmen.
Ein gesamteuropäisches
Referendum mit Mehrheitsentscheid ist keine Lösung, weil erstens keine
Bevölkerung Europas bei einer derartig fundamentalen Entscheidung wie der
Einschränkung der Souveränität überstimmt werden darf und weil es zweitens
keinen gesamteuropäischen Staat und keine gesamteuropäische Öffentlichkeit
gibt.
Die Anzahl der zustimmenden
Souveräne würde steigen und könnte alle 27 der Europäischen Union umfassen,
wenn der Nachfolgevertrag im Rahmen eines direktdemokratischen Prozesses von
einer durch demokratische Wahlen legitimierten gesamteuropäischen Versammlung
ausgearbeitet würde.
Ein wünschenswertes Ergebnis
dieser Versammlung wäre, daß soziale, ökologische und demokratische Rechte
Vorrang vor Wirtschaftsfreiheiten erhielten, wobei einzelne Länder als
Vorreiter höhere soziale und ökologische Standards durchsetzen könnten.
Der Staat und die Parteien
werden aufgefordert, eine wirklich freie Meinungs- und Willensbildung
zuzulassen und zu fördern, auch hinsichtlich möglicher (wohlbegründeter, nicht
bloß populistischer) EU-skeptischer Standpunkte.
Außerdem sollte die
Übertragung von Souveränitätsrechten an die EU jederzeit durch Referenden in den
Mitgliedstaaten revidiert werden können.
Ein ökologisches, soziales,
zukunftsfähiges und menschenfreundliches Europa kann nur auf dem Weg
verbesserter Demokratie erreicht werden und nicht über den Abbau von
Demokratie.
Unterzeichner
Das „Manifest für ein
demokratisches Europa“ wurde von einer Gruppe kritischer Wissenschaftler
verfaßt und wird von folgenden Personen unterstützt:
Hans Peter Aubauer, Physiker,
Uni Wien, Peter Bachmaier, Osteuropaexperte, Wien, Erwin Bader, Philosoph, Uni
Wien, Heinz Barta, Jurist, Uni Innsbruck, Christian Felber, Attac, WU Wien,
Alfred Haiger, Agrarökonom, Boku Wien, Max Haller, Soziologe, Uni Graz, Adrian
Hollaender, Jurist, Uni Wien, Uni Klausenburg, IU Vienna, Gerhard Jagschitz,
Historiker, Uni Wien, Hans Köchler, Philosoph, Uni Innsbruck, Hermann
Knoflacher, Verkehrsplaner, TU Wien, Hans Kohlmaier,
Zentralbetriebsratsvorsitzender, Wolfgang Kromp, Risikoforscher, Uni Wien ,
Helga Kromp-Kolb, Meteorologin, Boku Wien, Peter Moeschl, Arzt, MedUni Wien,
Anton Moser, Biotechnologe, TU Graz, Heinrich Noller, Physikochemiker, TU Wien,
Andreas Novy, Regionalökonom, WU Wien, Petra Seibert, Meteorologin, Boku Wien,
Raimund Sobotka, Sportpädagoge, Uni Wien, Bernhard Ungericht, Betriebswirt, Uni
Graz, Claudia v. Werlhof, Politologin, Uni Innsbruck, Peter Weish,
Humanökologe, Uni Wien, Ernst Florian Winter, Politologe, Dipl. Akad.
Wien/Pristina, Heinrich Wohlmeyer, Agrar- und Umweltökonom, Boku Wien.