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Aus der Neuen Solidarität Nr. 29/2008 |
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Von Helga Zepp-LaRouche
Die Krise der halbstaatlichen Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac signalisiert, daß die nächste Phase die totale Explosion des gesamten Finanzsystems sein wird. Nun muß unter der Führung der USA, Rußlands, Chinas und Indiens eine neue Finanzarchitektur geschaffen werden - ein Neues Bretton Woods. Aber die G-8 ignorierte das Thema bei ihrem Gipfeltreffen in Japan.
Vor den Augen der Welt eskaliert die Desintegration des Weltfinanzsystems immer dramatischer, die G8-Staaten treffen sich zu ihrem jährlichen Gipfel in Japan - und der Systemkollaps ist nicht mal Gesprächsthema, geschweige denn, daß eine Lösung für die Überwindung der Krise gefunden worden wäre! Offenbar verleitet die kollektive Realitätsverdrängung die Regierungen immer noch dazu, Auswege in Nebenthemas innerhalb des kollabierenden Systems zu suchen, die es gar nicht geben kann. Wenn man bedenkt, daß dies die kollektive Weisheit der Regierungen der sieben führenden westlichen Industrienationen plus Rußland war, und daß von ihrer Kompetenz das Glück oder Unglück eines großen Teils der Menschheit abhängt, dann kann man nur von einer Tragödie in der klassischen Bedeutung dieses Begriffes sprechen.
In allerkürzester Zeit wird es auch dem letzten Ignoramus klar werden, daß es nichts in diesem Universum gibt, womit das gegenwärtige globale Finanzsystem gerettet werden könnte. Die beiden US-Hypothekengiganten Freddie Mac und Fanny Mae sind nach den Worten des ehemaligen Fed-Gouverneurs William Poole „faktisch insolvent“. „Die Finanzkrise ist mit voller Wucht zurückgekehrt“, schrieb Spiegel-online, „Finanzplatz Zürich zerfleischt sich“, so die FT Deutschland. Die dänische Roskilde-Bank kollabiert. Die Hypotheken- und Immobilienkrise in den USA, Großbritannien, Spanien und weiteren Staaten eskaliert, weitere Investmentbanken von Wachovia, J. P. Morgan, Lehmann Brothers bis UBS, Credit Suisse geraten ins Schleudern. Für die österreichische Bawag-Bank soll der Staat die Haftung übernehmen. Die Todesspirale der amerikanischen Fluggesellschaften zieht einen weiteren Kreis mit über 20.000 weiteren Entlassungen, Siemens entläßt fast 18.000 Mitarbeiter - die Liste ließe sich fortsetzen.
Die sich zuspitzende Krise der halbstaatlichen Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac „signalisiert den endgültigen Kollaps der Greenspan-Blase“ kommentierte Lyndon LaRouche dazu. „Es handelt sich dabei nicht um eine Krise dieser beiden Institutionen. Es geht hier um den konzentrierten Zusammenbruch der gesamten globalen Schuldenblase, die Greenspan geschaffen hat und die fälschlicherweise immer als ,US subprime mortgange bubble’ [Blase der nachrangigen US-Hypotheken] bezeichnet wird, der sich hier auf diese zwei Institutionen entlädt. Und das signalisiert, daß die nächste Phase die totale Explosion des gesamten Finanzsystems sein wird.“ Falls die US-Regierung diese beiden Institutionen, deren Aktienwert am Freitag um fast 50 Prozent gefallen war, übernehmen sollte, wird dies zwar auf Kosten der Steuerzahler gehen, das Problem der Systemkrise aber keineswegs lösen. Denn diese beiden Institutionen hatten die zentrale Funktion, die Blasenwirtschaft aufrechtzuerhalten, indem sie Schulden in Guthaben verwandelten, die dann als strukturierte Wertpapiere immer weiter verkauft wurden.
Eine gutplazierte Quelle aus dem Finanzsektor unterstrich, daß bis zum 1. August etwas Gigantisches von unvorstellbaren Dimensionen getan werden müsse, oder das Weltfinanzsystem werde völlig abstürzen. Würden die Amerikaner durchdenken, was es bedeutet, daß Freddie Mac und Fanny Mae bankrott sind, würden sie erkennen, daß wir uns in der schwersten Finanzkrise aller Zeiten befinden. Statt dessen führen sie in die Ferien, als ob alles in Ordnung wäre.
Im Juni allein kam es in den USA zu 110.000 „Repossessions“ - dem Beschlagnahmen von Eigenheimen durch Finanzinstitutionen -, 250.000 weiteren Hausbesitzern wurden Zwangsvollstreckungen angekündigt. Damit ist die Zahl solcher Beschlagnahmungen viermal so hoch wie auf dem Höhepunkt der Großen Depression von 1933, und seit dem Juli 2007 wurde gegen rund drei Millionen Hausbesitzer die Zwangsvollstreckung eingeleitet. Insgesamt ist ein Immobilienwert von 3500 Milliarden Dollar vernichtet worden. Die Schwemme der Zwangsversteigerungen läßt wiederum die Immobilienpreise kollabieren, und viele Hausbesitzer mit bislang erstrangigen Hypotheken haben diese nun auf Häuser, deren Wert unter den Wert der Hypotheken gefallen ist. So dreht sich die Spirale immer weiter.
Bezeichnend für die Entschlossenheit der Finanzoligarchie, die maroden Institutionen wenigstens noch ein klein wenig länger zu retten, selbst um den Preis von Hyperinflation, war eine Pressekonferenz, die IWF-Direktor Strauss-Kahn am Rande des G8-Gipfel gab und auf der er den Finanzautoritäten der G7-Staaten empfahl, den Finanzsektor genauestens zu beobachten und allen Institutionen, die in Schwierigkeiten gerieten, mit Liquiditätsinjektionen zu Hilfe zu kommen. Das ist ungeheuerlich, es ist genau die „Helikopter“-Strategie, der Bernanke seinen Spitznamen verdankt; nämlich die Wahn-Idee, im Notfall eher mit Hubschraubern Geldnoten über den Städten auszuschütten, als zuzulassen, daß große Finanzinstitutionen bankrott gingen. Und dies wohlwissend, daß die dadurch ausgelöste Hyperinflation die Ersparnisse der sogenannten kleinen Leute auffressen wird.
Es ist sonnenklar, wie sich die neoliberale Oligarchie die Fortsetzung der Krise vorstellt, nämlich durch massive Senkung des Lebensstandards der Bevölkerung in der Tradition von Hjalmar Schacht. Strauss-Kahn präsentierte die brillante Idee, die Preisinflation bei Energie und Nahrungsmitteln voll an die Konsumenten weiterzugeben, da auf diese Weise ein Anreiz für die Produzenten geschaffen würde, mehr zu produzieren, und für die Konsumenten ein Anreiz, ihren Konsum zu reduzieren. Und in typisch britischer „Lady-do-rightly“-Manier, schlägt er vor, für die Armen könne es ja dann ein Sicherheitsnetz geben. Ins gleiche Horn stieß Lorenzo Bini Smaghi, Vorstandsmitglied der EZB, der sich dafür aussprach, die Opfer, die die Bevölkerung bringen müsse, gleichmäßig zu verteilen.
Daß eine solche „Konsum-Senkung“ und „gleichmäßige Verteilung der Opfer“ für die Mehrheit der Bevölkerung, die schon in der Vergangenheit keine Möglichkeit zum Sparen hatte, einen weiteren Absturz in die Armut mit unkalkulierbaren sozialen und politischen Folgen darstellt, ist diesen inkompetenten Leuten, die persönlich ein solches „gleichverteiltes Opfer“ bei ihren Gehältern und Diäten gar nicht spüren würden, offensichtlich egal.
Das einzig positive Ergebnis, daß bei dem G8-Gipfel zustande kam ist, ist die eindeutige Verpflichtung zu einer Renaissance der Kernenergie weltweit - mit Ausnahme Deutschlands, versteht sich. Der russische Präsident Medwedjew kündigte den massiven Ausbau der Kernenergie in Rußland und eine internationale Kooperation mit allen Ländern an, die dies wünschten. Vielleicht wichtiger als der ganze G8-Gipfel war ein bilaterales Treffen - gewissermaßen am Rande - zwischen dem indischen Premierminister Singh und dem chinesischen Präsidenten Hu Jintao, bei dem eine enge Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern bei der Entwicklung der Kernenergie beschlossen wurde.
Aber innerhalb der G7-Staaten kommt es immer mehr zu Widersprüchen, bei denen die realen Interessen der Nationalstaaten in scharfen Gegensatz zur Ideologie der neoliberalen Freihandelsfraktion geraten. So versicherte Präsident Sarkozy vor dem Europäischen Parlament in Straßburg, Frankreich werde auf keinen Fall die Dokumente der sogenannten Doha-Runde der WTO unterzeichnen, was bei einem Treffen am 21. Juli in Genf eigentlich anstünde. Sarkozy bediente sich zwar der freihändlerischen Argumentation, daß auch Brasilien und China ihre Märkte nicht öffneten, entscheidender dürften aber die über 100.000 Arbeitsplätze in der französischen Landwirtschaft gewesen sein, die durch die Doha-Vereinbarungen verloren gingen. Die WTO hatte verzweifelt versucht, die Verhandlungen bis allerspätestens Anfang Juni durchzukriegen, damit die Regierungen die entsprechenden Modalitäten noch festlegen könnten, so lange die Bush-Administration noch im Amt ist.
Aber die auf dem G8- Gipfel demonstrierte Unfähigkeit, das Problem der Systemkrise auch nur auf die Tagesordnung zu setzen oder ernsthafte Überlegungen über ein neue Finanzarchitektur anzustellen, bedeutet nichts anderes, als daß es in allerkürzester Zeit ein extrem unangenehmes Erwachen für die Regierungen geben wird, die bisher an ihren ideologischen Vorurteilen festgehalten haben. Denn ebenso, wie das kommunistische System zwischen 1989-91 unterging, ist das spekulative System, das spätestens 1971 von Richard Nixon begonnen und ab 1987 von Greenspan zur gewaltigsten Casino-Wirtschaft in der Geschichte aufgeblasen wurde, am Ende. Die Erfindung von Derivaten und anderen „kreativen Finanzinstrumenten“ schuf ein globales Monster, das zu einer absolut unbezahlbaren Verschuldung des Systems und immensen Bergen von unverkäuflichen strukturierten Finanzpaketen geführt hat.
Die europäische Seite dieses Monstrums wurde uns von Margret Thatcher und Francois Mitterand mit dem Maastrichter und Amsterdamer Vertrag, der Währungsunion, dem Stabilitätspakt und dem Vertrag von Nizza geschenkt, dem wir die Blasenwirtschaft in den sogenannten Nachhol-Ökonomien und den Kollaps des Mittelstandes und die Senkung des Reallohns in Deutschland in den letzten zehn Jahren zu verdanken haben. Der einzige Lichtblick in einem überwiegend düsteren Bild ist das Nein der Iren beim Referendum und die entsprechenden Aussagen der Präsidenten von Tschechien und Polen, die den Lissaboner Vertrag für damit gestorben erklärt haben.
In diesem versuchten Staatstreich von oben, bei dem die Regierungschefs versuchten, den EU-Vertrag quasi in einer Nacht und Nebel-Operation ohne jegliche öffentliche Diskussion durchzusetzen, ist auch sehr deutlich geworden, wie schlecht es um die Demokratie in Europa bestellt ist. Selbst jetzt, nachdem das irische Nein zumindest dafür gesorgt hat, daß die Bevölkerung überhaupt weiß, daß es einen Lissaboner Vertrag gibt, gab es keine einzige substantielle Analyse oder Darstellung in den Medien, von einer kurzen Talkshow in Phönix abgesehen. Wenn es stimmt, daß Frau Merkel Bundespräsident Köhler tatsächlich aufgefordert hat, den EU-Vertrag doch schon jetzt zu unterschrieben, obwohl das Urteil des Verfassungsgerichtes noch aussteht, dann beweist das in der Tat ein haarsträubendes Maß an Demokratiedefizit bei einer Frau, die bereits 2005, anläßlich des 60jährigen Bestehens der CDU gesagt hatte: „Denn wir haben wahrlich keinen Rechtsanspruch auf Demokratie und soziale Marktwirtschaft auf alle Ewigkeit.“ Auf was denn dann? Auf Diktatur?
Eines ist gewiß: Die Welt steht vor Erschütterungen, die ohne Beispiel sind. Was Lyndon LaRouche vorgeschlagen hat, daß die vier mächtigsten Nationen, nämlich die USA, Rußland, China und Indien zusammenarbeiten, weil nur so eine Lösung für eine neue Finanzarchitektur gefunden werden kann, mag Vielen als unwahrscheinlich erscheinen. Das ist es aber nicht unter den Krisenbedingungen, auf die wir jetzt zusteuern. Derzeit denkt man an allen Ecken der Welt über Lösungsmöglichkeiten nach: über eine kontinental eurasische Lösung ohne die USA und Großbritannien, über eine strikt asiatische oder süd-südliche Lösung, über eine Rubelzone, eine britisch-skandinavische Zone, etc. etc. Aber schon Nikolaus von Kues erkannte im 15. Jahrhundert, daß universelle Probleme nicht auf der Basis von Nebenordnungen gelöst werden können, sondern daß Konkordanz im Makrokosmos nur möglich ist, wenn sich alle Mikrokosmen zu einem harmonischen Ganzen entwickeln.
Auch wenn es den meisten Bürgern heute unwahrscheinlich erscheinen mag: Die einzige Weise, wie die Menschheit verhindern kann, daß wir in ein wirklich dunkles Zeitalter abstürzen, besteht darin, daß wir eine gerechte Weltwirtschaftsordnung errichten, die das Überleben aller Menschen und aller Nationen in Menschenwürde ermöglicht. Und das Beste, was wir in Deutschland tun können, ist uns zu Staatsbürgern zu entwickeln.
Lesen Sie hierzu bitte auch: Realitätsflucht der Regierungen und Zentralbanken muß endlich aufhören! - Neue Solidarität Nr. 28/2008 Nach Irlands „NEIN” zum EU-Vertrag: Jetzt alle alten EU-Verträge kündigen! - Neue Solidarität Nr. 24/2008 „Britisch-imperiale Freihandelslehre“ ist am Ende - Jetzt eine neue gerechte Weltwirtschaftsordnung! - Neue Solidarität Nr. 24/2008 Milchstreik der Bauern - der Beginn einer wirklichen Revolution? - Neue Solidarität Nr. 24/2008 „Die Hungerkrise schafft die Voraussetzungen für eine revolutionäre Bewegung!“ - Neue Solidarität Nr. 20/2008 Menschheit in existentieller Gefahr! Verdoppelt die Agrarproduktion! - Neue Solidarität Nr. 19/2008 Stellungnahmen und Reden der BüSo-Vorsitzenden - Internetseite der Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo) |
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