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Aus der Neuen Solidarität Nr. 26/2008 |
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Rußland/EU. Die EU versucht immer stärker, sich zum Vermittler in den „eingefrorenen Konflikten“ des ehemaligen Sowjetgebiets aufzuschwingen. Sie will so die UNO verdrängen, in deren Auftrag Rußland viele dieser Gebiete kontrolliert.
Ohne die Ratifizierung des britisch-imperialen Lissabon-Vertrages abzuwarten - der nach dem irischen „Nein“ eigentlich vollständig gescheitert ist -, verstärkt die EU ihre Bemühungen, die russischen Interessen herauszufordern. Sie pocht auf ihr Recht, innerhalb der ehemaligen Sowjetunion aktiv zu werden. Lissabon-Vertrag hin oder her, die Fürsprecher einer EU mit imperialem Anspruch wollen die EU zum Mittler der Beziehungen in Ostmitteleuropa machen und dadurch die Vereinten Nationen aus Gegenden verdrängen, in denen sie oder Rußland seit den 90er Jahren unter UN-Mandat eine wichtige Rolle gespielt haben. Als Folge davon nehmen bereits jetzt Spannungen zu, die an den südwestlichen Grenzen Rußlands, insbesondere im Kaukasus, und letztlich in ganz Eurasien zu Kriegshandlungen eskalieren könnten.
Die jüngsten EU-Interventionen in der Republik Georgien und deren abtrünniger Region Abchasien gingen mit vordergründigen politischen Maßnahmen einher, um die Kooperation mit Rußland zu verstärken. Am 21. Mai hatte die EU zugestimmt, die Verhandlungen mit Rußland über ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA) wiederaufzunehmen, um das im letzten Jahr ausgelaufene fortzuschreiben. Weitere Verhandlungen darüber sollen auf dem nächsten EU-Rußland-Gipfel am 26.-27. Juni in der westsibirischen Stadt Chanty-Mansijsk stattfinden.
Der Economist, das Sprachrohr der Londoner City, das sich mit Nachdruck dafür einsetzt, Rußland mit Hilfe der EU klein zu halten, frohlockte in seiner Ausgabe vom 30. Mai-6. Juni über den Erfolg der ehemaligen Sowjetrepublik Litauen, diese Entscheidung über Monate hinweg aufgehalten zu haben. Selbst nachdem die neue Regierung des EU-Mitglieds Polen einen langen Disput mit Rußland über Fleischexporte beigelegt und den neuen PKA-Verhandlungen zugestimmt hatte, beharrte Litauen auf seiner Haltung, bis die EU formell zusicherte, das russische Auftreten in Georgien zu beobachten, auf garantierten russischen Energielieferungen an alle EU-Mitglieder zu bestehen und Gespräche über Litauens Forderung zu erzwingen, daß Rußland Reparationen für die von der Sowjetregierung nach dem Zweiten Weltkrieg vorgenommenen Deportationen zahle.
In dem Economist-Artikel wird besonders Deutschland angegriffen, weil es die Kooperationsverhandlungen beschleunigen will. Es sei im Gegenteil viel mehr zu begrüßen, daß „andere Länder sich gegen die übermäßig rußlandfreundliche Politik Deutschlands stellen.“ Carl Bildt und Radek Sikorski, die Außenminister Schwedens bzw. Polens, haben einen Plan mit der Bezeichnung „östliche Partnerschaft“ vorgestellt, mit dem Georgien, der Ukraine und sogar Weißrußland und „russischen Regionen wie Kaliningrad“ (das ehemalige Königsberg) Vorzugsbedingungen im Handel sowie die Einleitung von EU-Aufnahmeverhandlungen in Aussicht gestellt werden sollen.
In einem Kommentar behauptet der Economist, das Sammelreservoir billiger Arbeitskräfte, das durch die EU-Osterweiterung entstanden ist, hätte allen Mitgliedsländern geholfen. „Die Anfangsschwierigkeiten mit einigen neuen Mitgliedern“, so der Economist, „sollte nicht als Entschuldigung dienen, anderen die Tür zuzuschlagen.“ Von größtem Interesse sei eine mögliche EU-Mitgliedschaft der Ukraine, die derzeit heftigen Streit mit Rußland über die Schwarzmeerflotte und andere Fragen habe, sowie selbst heftige interne politische Konflikte in Kiew durchlebe.
Sergej Jastrschembskij, der frühere Kreml-Sonderrepräsentant bei der EU, sagte am 29. Mai, die neuen EU-Rußland-Gespräche würden „lang und schwierig“ sein. In einer Mitteilung der russischen Nachrichtenagentur Nowosti, ebenfalls vom 29. Mai, wird eine ungenannte russische Regierungsquelle zitiert, wonach es zweifelhaft sei, daß ein neues Rahmenabkommen in diesem Jahr erreicht werden könnte.
Eine nachfolgende Nowosti-Analyse vom 9. Juni zitierte einen anonymen hochrangigen russischen Sicherheitsbeamten, der dem britischen Geheimdienst vorwarf, Kontrolle über die politischen Institutionen der EU erlangen zu wollen und diese gegen Rußland auszurichten. Eine hierfür benutzte Technik, so der Beamte, seien Behauptungen über russische Spionagetätigkeit, so wie es auch in einem weiteren Artikel der gleichen Economist-Ausgabe aufgeworfen wird.
Im Economist erschien ein Artikel mit der Überschrift „Kann sich die EU selbst verteidigen?“, worin es heißt: „Russische Spionage in Brüssel und Straßburg... ist weitaus besser finanziert, zielgerichteter und besser koordiniert als je zuvor.“ Der russische Elite-Auslandsgeheimdienst sei durch den Bundessicherheitsdienst (FSB) ergänzt worden, der sonst ausschließlich mit inneren Fragen befaßt sei, und es seien nicht nur Geheimdienstoffiziere, sondern auch Journalisten, Berater und sogar Studenten im Einsatz.
Der russische Sicherheitsexperte erwiderte auf den „Spionage“-Artikel des Economist: „Es ist kein Zufall, daß der Artikel erschienen ist, nahezu unmittelbar nachdem die EU-Außenminister einem Mandat für Gespräche über ein Abkommen zur Ersetzung des bisherigen PKA zugestimmt hatten.“ Nachdem Rußland seine Kontroversen mit Polen und Litauen beigelegt habe, so der Experte, hätte sich London darauf verlegt, mit Spionagegeschichten „wie aus dem Kalten Krieg“ die Angst vor Rußland zu schüren. „Die Briten sind nicht glücklich über den Umstand, daß Rußland einen konstruktiven Dialog mit den wichtigen europäischen Hauptstädten wie Paris, Berlin und Rom führt“, sagte er. Seiner Meinung nach versuche London seit langem, seine Position in der Europäischen Union dadurch zu stärken, daß britische Beamte in Schlüsselpositionen der politischen EU-Strukturen gebracht werden, während Großbritannien seinen Sonderstatus in bezug auf die Hauptmechanismen der europäischen Integration wie die gemeinsame Währung, die Reisefreizügigkeit und den europäischen Verfassungsentwurf beibehalte.
Er sagte, London verfolge seine eigene politische Agenda, versuche „in Europa ein System von Ergebenheitsprüfungen und ständiger Überwachung in den besten Traditionen des Kalten Kriegs einzuführen“, um seine regionalen Interessen zu schützen und weitreichende Ambitionen zu verfolgen.
Am 30. Mai trafen 15 Abgesandte aus EU-Ländern in der abchasischen Hauptstadt Suchumi ein, um den Weg für weitere Vermittlungsbemühungen von EU-Politikern zu ebnen. Diese Mission war Teil einer vom georgischen Präsidenten Michael Saakashwili unterstützten Kampagne, das Mandat der Vereinten Nationen zu beenden. Danach kontrollieren russische Friedenstruppen seit Ende des Bürgerkriegs mit der georgischen Zentralregierung Anfang der neunziger Jahre Abchasien.
Ideologen einer „imperialen Europäischen Union“ unter dem Lissabon-Vertrag wie der London nahestehende Analyst Iwan Krastew vom Zentrum für Liberale Strategien (Bulgarien), betrachten die Rolle der EU bei der Abspaltung des Kosovo von Serbien im letzten Winter als Einstieg für EU-Einmischungen im gesamten westlichen Eurasien. Scharfmacher Krastew hat erklärt, eine große Krise wegen der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo - unter anderem eine Garantie erhöhter Spannungen mit Serbiens historischem Verbündeten Rußland - sei genau das, „was die Europäische Union dringend braucht“, um ihre „historische Lebensfähigkeit“ zu beweisen.
Ein verbreitetes Szenario in diesen Kreisen ist, daß nach dem Vorbild des Kosovo sogenannte „eingefrorene Konflikte“ um autonome Regionen in den früheren Sowjetrepubliken wie Abchasien, Südossetien in Georgien und Transnistrien in Moldawien aufgetaut würden. Als Ort heftiger Kämpfe Anfang der neunziger Jahre nach dem Zusammenbruch der UdSSR unterhalten alle diese autonomen Regionen besondere Beziehungen mit Moskau und/oder werden von russischen Friedenstruppen unter UN-Aufsicht kontrolliert, was wiederum für die moldawische Regierung und insbesondere für Saakashvili in Georgien und ihre Hintermänner in der EU und den USA Anlaß war, Rußland vorzuwerfen, deren Souveränität zu bedrohen.
In einer Reihe von Artikeln in der russischen Tageszeitung Nesawisimaja Gaseta wurde inzwischen dokumentiert, daß die EU die eingefrorenen Konflikte angeht. In „Schritten, die die Europäer still und ohne Aufsehen auf dem Feld der Vermittlung unternehmen, das bis vor kurzem Rußlands Priorität war“, hätte der Stab des EU-Außenbeauftragten Javier Solana „Dialogbesuche“ von Führern der abtrünnigen autonomen Regionen Transnistrien und Südossetien nach Brüssel arrangiert, hieß es in Nesawisimaja Gaseta vom 16. Mai. „Tiflis [Georgien] versucht, die UNO (in der Rußland ein Vetorecht hat) aus den Abchasien-Verhandlungen hinauszudrängen“, schrieb die Zeitung am 19. Mai und zitiert den georgischen Staatsreintegrationsminister Temur Iakobashwili, wie dieser sich eine Vermittlungsrolle der EU vorstellt.
Unter der Überschrift „Die nicht anerkannten Republiken kapitulieren vor dem Westen“ berichtete Nesawisimaja Gaseta, Parlamentspräsident Jewgeni Schewtschuk aus Transnistrien habe sich über seinen jüngsten Besuch im EU-Hauptquartier in Brüssel gefreut. Dieser war durch die EU ermöglicht worden, die Schewtschuk von einer Liste unerwünschter Personen gestrichen hatte. Anschließend sei er zu weiteren Gesprächen nach London weitergefahren. Schewtschuk repräsentiert eine andere Fraktion als der transnistrische Führer Igor Smirnow. Dies läßt darauf schließen, man versuche dort gezielt, EU-Vertrauensleute aufzubauen.
Am 6. Juni stattete Javier Solana Abchasien einen Besuch ab. Und am Rande eines informellen Gipfels der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) in St. Petersburg am gleichen Tag traf Saakashvili mit dem russischen Präsidenten Dmitrij Medwedjew zusammen, der eine zunehmend ausländische Konfliktvermittlung in der ehemals sowjetischen GUS-Region ablehnte. Medwedjew sagte auf dem Treffen: „Ich meine, wir können unsere Beziehungen selber in Ordnung bringen.“
Im letzten Monat hat ein stellvertretender Außenminister Georgiens erklärt, Rußland und Georgien befänden sich wegen Abchasien „am Rande des Krieges“, während Saakashwili selbst im Mai verkündete: „Wir sind das Schlachtfeld für einen neuen Weltkrieg“.
Saakashwili machte einen überwältigenden Sieg bei den Parlamentswahlen für seine Partei im letzten Monat geltend, aber über 100.000 Menschen kamen zu verschiedenen Demonstrationen zusammen, um gegen Wahlbetrug zu protestieren. Shalva Natelashwilis Georgische Arbeiterpartei, die die Hürde zum Einzug ins Parlament übersprang, und andere Oppositionskräfte haben sich wegen des Wahlbetrugs geweigert, ihre Parlamentssitze einzunehmen.
Rachel Douglas
Lesen Sie hierzu bitte auch: Eurasische Allianz gefestigt - Neue
Solidarität Nr. 24/2008 |
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