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Aus der Neuen Solidarität Nr. 26/2008 |
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Im Wortlaut. Die Vorsitzende des Schiller-Instituts ging in ihren Äußerungen bei der Pressekonferenz in Rom vor allem auf die weltweite Nahrungsmittelkrise ein. Die Rede ist aus dem Englischen übersetzt.
Ich denke, es gibt kein Thema, an dem sich der Bankrott der Globalisierung so klar zeigen läßt, wie die Frage der heutigen Nahrungsmittelknappheit. Wenn, wie zugegeben wird, 850 Millionen Menschen vor dem Verhungern stehen und zwei Milliarden Menschen unterernährt sind, dann ist das die offizielle Bestätigung des Bankrotts des gegenwärtigen Systems. Und die Tatsache, daß das vor sich geht, ohne daß die Europäische Union, die G-7 oder andere internationale Institutionen wirksame Maßnahmen ergreifen, um das zu ändern, bedeutet auch den moralischen Bankrott dieser Institutionen.
Seit Juni letzten Jahres gab es Warnungen, daß es zu Hungeraufständen kommen würde, die dann ab Oktober tatsächlich in 40 Ländern ausbrachen. Im Falle Haitis wurde sogar die Regierung gestürzt, und die Aufständischen, die von der Polizei beschossen wurden, riefen: „Es kümmert uns nicht, wenn die Polizei auf uns schießt, weil wir sowieso vor Hunger sterben würden, wenn wir jetzt nicht kämpfen.“ Das zeigt das Ausmaß der Verzweifelung.
Ein Riesenskandal dabei ist, daß die internationalen Medien zunächst darüber schwiegen, obwohl diese Unruhen seit Oktober im Gang waren. Erst Ende April wurde darüber berichtet, aber da war es natürlich schon zu spät für die Aussaat für diesen Sommer.
Als die Berichte im Vorfeld des FAO-Gipfels kamen, machte ich sofort den Vorschlag, die Nahrungsmittelproduktion zu verdoppeln, was leicht zu bewerkstelligen wäre. Dieses Ziel ergibt sich aus der Tatsache, daß 850 Millionen Menschen jeden Tag hungern, zwei Millionen Menschen unterernährt sind, und zu erwarten ist, daß die Weltbevölkerung bis 2050 um drei Milliarden Menschen wachsen wird. Die Nahrungsmittelproduktion zu verdoppeln, ist also dringend geboten und die einzige sinnvolle Antwort!
Das kann offensichtlich nur geschehen, wenn wir die Politik, die mit den GATT-Runden begann und in der WTO fortgesetzt wurde, umkehren. Gott sei Dank ist die Doha-Runde der WTO gescheitert. Diese neoliberale Politik ist schuld daran, daß es überhaupt eine Nahrungsmittelknappheit gibt. Die Spekulanten brauchen einen Mangel, damit man mit irgend etwas spekulieren kann. Das gilt auch für Nahrungsmittel. Deshalb wurden die Produktionskapazitäten in der Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten vorsätzlich reduziert.
Dem zu begegnen, schlage ich vor, die Macht der fünf Mega-Kartelle zu brechen, die heute 80-90% des Handels und der Verarbeitung von Nahrungsmitteln weltweit kontrollieren. Bei der FAO-Konferenz gab es einen sehr deutlichen Konflikt zwischen den Leuten, die von „Freihandel“, der Abschaffung aller Handelsbarrieren und Umsetzung des totalen Freihandelssystems sprachen, auf der einen Seite, und den Leuten, die von protektionistischen Maßnahmen und Ernährungssicherheit für alle Länder sprachen, auf der anderen Seite.
Nun, wie kann man die Nahrungsmittelproduktion verdoppeln? Das kann man leicht sagen: 500 Millionen Menschen könnten ernährt werden, wenn der Einsatz von Biotreibstoffen gestoppt würde. Mit einer Tankladung Biosprit kann ein Mensch eines halbes oder ein ganzes Jahr leben, und 500 Millionen Menschen könnten ernährt werden, wenn diese kriminelle Praxis gestoppt würde. Aber dann muß natürlich auch die wirkliche Produktion gesteigert werden, was offensichtlich nur geschehen kann, wenn die Infrastruktur in den Entwicklungsländern aufgebaut wird. Man braucht eine integrierte Infrastruktur von Häfen, Eisenbahnen, Wasserwegen, Bewässerung, Entsalzung, man braucht Kernkraft, um große Mengen an Meerwasser zu entsalzen. Man muß hinsichtlich der Infrastruktur für Afrika, Lateinamerika und Asien genau das tun, was in Europa getan wurde.
Ich weiß, daß sich die Menschen hier in Italien wie in anderen Ländern auch darüber aufregen, daß so viele Menschen aus Afrika herkommen, die vor Hunger und Krankheiten fliehen. Die Antwort darauf ist offensichtlich: Wir sollten Bedingungen in Afrika schaffen, unter denen die Menschen dort in ihren Heimatländern bleiben wollen. Das wäre ihnen sowieso lieber, wenn man ihnen die Entwicklung ermöglichte, die der Kolonialismus Afrika seit 500 Jahren vorenthält. Die Europäische Union und bestimmte europäische Politiker regen sich sehr über die Zunahme des Einflusses und der Geschäfte von China, Rußland, Indien und Japan in Afrika auf. Japan beispielsweise versprach Afrika bei einem Gipfeltreffen, das kürzlich unter Beteiligung von 50 Staatsoberhäuptern in Japan stattfand, eine „Grüne Revolution“, wie sie Asien in den sechziger Jahren hatte, möglich zu machen. China baut im Sudan wunderschöne Staudämme, es werden Eisenbahnen gebaut. Natürlich haben die Chinesen daran auch ein eigenes Interesse, aber alle Afrikaner, mit denen ich gesprochen habe, sind sehr glücklich darüber, was Japan, China, Rußland und Indien in Afrika tun, weil es auch den afrikanischen Interessen dient!
Warum tut die Europäische Union nicht einfach das gleiche? Ich meine, das wäre die logische Antwort: Europa sollte ebenfalls in die Infrastruktur und in Großprojekte in Afrika investieren. Ich habe den Verdacht, sie tun das nicht, weil sie mit anderen Projekten wie dem Vertrag von Lissabon beschäftigt sind. Der ist die größte Grausamkeit, die in der Nachkriegsgeschichte in Europa geschehen ist, und ich möchte diese Gelegenheit noch einmal nutzen, um dem irischen Volk dafür zu danken, daß sie kürzlich bei ihrem Referendum mit „Nein“ gestimmt haben. Denn der Lissaboner Vertrag drohte, und ein wenig tut er das immer noch, der parlamentarischen Demokratie in Europa ein Ende zu setzen und eine oligarchische Diktatur zu errichten. Zum Glück gibt es nun eine Gegenreaktion. Trotzdem muß man auf die Tatsache hinweisen, daß die Verfassung, die 2005 von Frankreich und Holland zurückgewiesen wurde, nur geringfügig umformuliert wurde. Giscard d’Estaing zufolge war es genau das gleiche Dokument, und Juncker zufolge war es eine Geheimoperation, mit der man versuchte, dieses Monstrum ohne Diskussion in den Medien und ohne Debatte in den Parlamenten durchzuschmuggeln und dann schnell zu ratifizieren.
Zum Glück habe ich im Februar erkannt, was für eine Ungeheuerlichkeit das war, und wenn man den völlig unlesbaren Text genau studiert, dann sieht man, daß er eine Beseitigung der Demokratie, eine Aufhebung der Souveränität der Völker bedeutet. Nach der deutschen Verfassung geht alle Gewalt vom Volke aus. Aber im Vertrag von Lissabon gibt es keine Souveränität, die vom Volk ausgeht, sondern nur die Macht einer supranationalen europäischen Bürokratie!
Ein weiterer Aspekt wäre die völlige Militarisierung der Europäischen Union gewesen. Sie soll mit der NATO verbunden und die militärischen Strukturen der NATO und der Europäischen Union sollen integriert werden. Unter „humanitären“ oder anderen Vorwänden könnte sie dann weltweit eingesetzt werden; im wesentlichen wäre die Europäische Union in eine Militärallianz verwandelt worden. Sie würde in eine vollkommen undemokratische Struktur, auch eine bedrohliche Manifestation neoliberaler Politik verwandelt, und den Regierungen würde weitgehend die Macht genommen, angesichts dieser größten Finanzkrise der jüngeren Geschichte mit protektionistischen Maßnahmen zu intervenieren.
Deshalb bin ich sehr froh, daß das durch die irische Abstimmung jetzt im wesentlichen abgewehrt ist. Der tschechische Präsident Vaclav Klaus hat bereits gesagt, es sei sinnlos, den Ratifizierungsprozeß fortzusetzen, denn wenn ein Land nicht zustimmt, ist der Vertrag gestorben. Deshalb glaube ich, daß es auch in Italien, wo dieses Monstrum noch nicht ratifiziert ist, eine Debatte darüber geben sollte, damit eine Ratifizierung verhindert wird. Warum sollte man etwas ratifizieren, was schon tot ist? Ich glaube, man braucht nicht einmal eine Volksabstimmung. Man sollte den Vertrag von Lissabon nicht ratifizieren! Denn er ist tot, und Leichen sollte man begraben.
Ich denke, das ist auch eine Chance, darüber zu diskutieren, was Europa sein sollte: Was sollte Europas Identität für das 21. Jahrhundert sein? Auch wenn ich mit Vaclav Klaus in seiner Wirtschaftspolitik nicht übereinstimme, er hat eine sehr intelligente Bemerkung gemacht, nämlich, Europa solle zu den Strukturen vor dem Maastricht-Abkommen zurückkehren. Ich persönlich meine, daß wir zu den Ideen von Charles de Gaulle zurückkehren und über ein „Europa der Vaterländer“ von souveränen Republiken und Großprojekten sprechen sollten. Denn Europa wird mit der Wahl konfrontiert sein: entweder unterwerfen wir uns den Ideen des britischen Empire und folgen einer kolonialen und imperialen Politik in aller Welt, oder wir entdecken die besten Traditionen der europäischen Zivilisation wieder und spielen eine Rolle bei der Entwicklung der Länder, die sie dringend brauchen. Wir können eine Mission für „die gemeinsamen Ziele der Menschheit“ übernehmen, wie Dr. Edward Teller einmal sagte.
Ich denke, daß die kommende Periode uns in Europa vor größte Herausforderungen stellen wird. Wir müssen Farbe bekennen, auf welcher Seite der Menschheit wir stehen. Ich möchte wirklich, daß wir uns für die Sache einer neuen, gerechten Weltwirtschaftsordnung entscheiden. Der frühere russische Präsident Putin hat bereits einen New Deal für Rußland gefordert; der frühere argentinische Präsident Kirchner verlangte einen New Deal für Argentinien; Wirtschaftsminister Tremonti verlangt einen New Deal für Europa, und kürzlich gab es einen - von den Medien völlig verschwiegenen - Offenen Brief von 14 früheren Regierungschefs und Finanzministern, darunter Rocard, Helmut Schmidt, Rasmussen und D’Alema, die einen Notgipfel der Staats- und Regierungschefs forderten, um über ein neues Finanzsystem zu diskutieren. Alle diese Stimmen geben wider, was die LaRouche-Bewegung seit vielen Jahren gesagt hat: Wir brauchen ein neues Finanzsystem, ein Neues Bretton Woods in der Tradition von Franklin Delano Roosevelt und einen New Deal für die Weltwirtschaft.
Ich denke, uns bleibt nur noch wenig Zeit. Wir haben eine Gelegenheit, die Tagesordnung zu ändern, um den Trend zu einem finsteren Zeitalter umzukehren. Das Beste wäre, wenn bei der bevorstehenden Vollversammlung der Vereinten Nationen im September in New York ein klarer Plan für den Wiederaufbau der Weltwirtschaft auf die Tagesordnung gesetzt würde. Wir dürfen uns diese Gelegenheit, über die konkreten Maßnahmen zur Verdoppelung der Nahrungsmittelproduktion und große Infrastrukturprojekte zu sprechen, nicht entgehen lassen. Wir könnten den akuten Hunger in einem halben Jahr und die Armut innerhalb von fünf Jahren beenden. Und dann könnten wir innerhalb einer Generation der gesamten Weltbevölkerung einen angemessenen Lebensstandard geben.
Ich denke, es gibt nichts anderes, für das es sich lohnen würde, zu kämpfen! Warum sollte die gesamte Welt dem Reichtum von vielleicht 1% der Bevölkerung dienen, und weiteren 10%, die als Parasiten leben, während 80% der Bevölkerung im Elend leben? Es kann nicht das Schicksal der Menschheit sein, an dieser vernunftwidrigen Ordnung festzuhalten!
Ich denke, der Moment ist gekommen, wo man die politische und wirtschaftliche Ordnung dieser Welt in Übereinstimmung mit den Gesetzen des Universums bringen muß. Und wenn Sie wissen wollen, was ich damit meine, lesen Sie nach bei dem großen Denker des 15. Jahrhunderts, Nikolaus von Kues.
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