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Aus der Neuen Solidarität Nr. 16/2008 |
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Die große Mehrheit von 151 gegen 17 Stimmen, mit der am 9. April im österreichischen Nationalparlament der Vertrag von Lissabon ratifiziert wurde, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß in der Bevölkerung - und das gilt nicht nur für die Österreicher - die Stimmung gegen den Vertrag deutlich zunimmt. Die 103.000 Unterschriften, die am Vortag der Parlamentsdebatte von der Initiative „Rettet Österreich“ bei der Parlamentspräsidentin Margarete Prammer eingereicht wurden, sind ein eindrucksvoller Beweis dieser wachsenden Ablehnung. Ein Referendum nicht abzuhalten, obwohl der Vertrag tiefe Eingriffe in die Verfassung bedeutet, sehen mindestens 60 Prozent, laut einigen Umfragen sogar bis zu 80 Prozent der Österreicher als eine Fehlentscheidung der Regierung an, und deshalb war die Überschrift „Verfassungsbruch im Parlament“ über den Bericht in der Kronenzeitung am Tag nach der Abstimmung ganz angebracht.
Die Debatte selbst wurde über acht Stunden hinweg intensiv geführt und brachte einige der entscheidenden strittigen Punkte gegen der Vertrag von Lissabon auf den Tisch: Militarisierung der EU, Verlust der militärischen Neutralität und der Souveränität, schließlich die klammheimliche Einführung der Todesstrafe. Der Sarkasmus, mit dem FPÖ-Sprecher Strache die Regierungsmehrheit attackierte, zeigt, daß die Opposition gegen den Vertrag trotz des Mauerns von SPÖ, ÖVP und Grünen keinesfalls demoralisiert ist. Strache sagte, die Regierung schicke den Bundesadler nach Brüssel, um ihn von dort als gerupftes Suppenhuhn zurückzuerhalten, und dem Bundeskanzler, Alfred Gusenbauer, überreichte er einen Maulkorb, aus Spott über dessen Weigerung, kritische Anmerkungen über den Vertrag zur Kenntnis zu nehmen .
Die Opposition wird ihre Aktivitäten verstärken und landesweit Unterschriften für ein Referendum sammeln, wie sie auf einer Protestkundgebung von 3000 Bürgern in Wien am Vorabend der Parlamentsdebatte verlauten ließ. Dazu gehört auch, daß beim obersten Gerichtshof des Landes etliche Verfassungsklagen wegen Mißachtung von Verfassungsartikel 44 durch die Regierungsmehrheit eingereicht werden. Der Vertrag muß übrigens auch vom Bundesrat ratifiziert werden, und da gibt es vor allem in Kärnten Opposition, das vom Euroskeptiker Jörg Haider (FPÖ) als Landeshauptmann regiert wird. Auch in Oberösterreich, wo der stellvertretende Landeshauptmann Erich Haider (SPÖ) die Opposition anführt, gibt es erheblichen Widerstand.
Insgesamt kann man feststellen, daß im Rückblick auf die französische Ratifizierung vor zwei Monaten, die wie eine Dampfwalze über die Franzosen hinwegrollte und zunächst eine totale Lähmung jeglichen Widerstands bewirkte, die Ratifizierung in Österreich bereits in große Probleme geraten ist. Die Wiener Regierung hat das insofern eingestanden, als sie in den Tagen unmittelbar vor der Parlamentsdebatte gezielt Prominente in die Medien vorschickte, um die Werbetrommel für die Ratifizierung zu rühren. Sogar eine Broschüre wurde noch ganz schnell gedruckt, die aber nur die angeblichen „Vorteile“ auflistet, die Österreich durch den Vertrag von Lissabon erhält. Immerhin führte das plötzliche Medieninteresse am Thema dazu, daß Kritiker des Vertrags nach Monaten der Nachrichtenblockade erstmals zu Wort kamen.
Auch in Dänemark gibt es eine breite Bewegung gegen den Lissabon-Vertrag, die mit den beiden Europaabgeordneten Jens Peter Bonde und Soeren Soendergaard zwei prominente politische Sprecher besitzt. Die beiden reichten am 7. April mehr als 48.000 Unterschriften bei der Regierung ein, wobei es zu einem Eklat kam, da der für seine Arroganz berüchtigte dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen weder selbst in dem extra für die Übergabe bereitgehaltenen Raum im Parlamentsgebäude erschien noch einen Vertreter entsandte, um die Unterschriften entgegenzunehmen. Damit wird Rasmussen auch ein Kandidat für einen Maulkorb, wie er in Wien überreicht wurde, und man sollte ihn außerdem daran erinnern, daß es ja ein Landsmann von ihm war, der große dänische Schriftsteller Hans Christian Andersen, der in seinem Märchen vom „Kaiser ohne Kleider“ gesagt hat, was man über diese blasierte Sorte von Politikern sagen muß.
Die Protestbewegung ließ sich nicht lange von Rasmussens Abwesenheit aufhalten und brachte statt dessen die Unterschriften zum Staatministerium, wo sie schließlich angenommen werden mußten. Das Parlament setzte seine Debatte am 8. April mit der zweiten Lesung des Ratifizierungsgesetzes fort. Auch in Dänemark wird die Protestbewegung mit ihrer Forderung nach einem Referendum ihre Aktivitäten weiter verstärken, wofür Bonde sogar sein Mandat im Europaparlament niedergelegt hat, um mehr Zeit für die Kampagne gegen den Vertrag zu haben. Das Schiller-Institut in Dänemark, das wegen seines entschiedenen Eintretens für den Bau von Transrapidstrecken und anderen Infrastrukturprojekten in den vergangenen Monaten stark an Popularität gewinnen konnte, hat weitere Unterschriften gesammelt, die am 8. April ebenfalls beim Staatsministerium eingereicht wurden.
An Deutschland gehen diese Entwicklungen in den unmittelbaren Nachbarländern natürlich nicht spurlos vorüber, obwohl die politische Prominenz hier ebenso mauert wie die in Österreich. Die deutsche Opposition nimmt zu, sichtbar zum Beispiel in der Ankündigung der ÖDP, eine Klage gegen den Lissabon-Vertrag vor dem Bundesverfassungsgericht einzureichen, wobei vor allem die Militarisierung der EU und die Entmachtung der Bundesrepublik durch die Lissaboner „Solidaritätsklausel“ angeprangert wird. Der ÖDP-Bundesvorsitzende Klaus Buchner wies in diesem Zusammenhang darauf hin, daß bereits in einem EU-Papier von 2004 die Transformation der Verteidigungskräfte Europas in eine neokoloniale Interventionsmacht, die dann überall in der Welt Kriege um Rohstoffe führen würde, vorgedacht war. Die ÖDP wird auch auf ihrem Bundesparteitag Mitte April über das Thema diskutieren.
Sichtbar wird der wachsende Widerstand in Deutschland auch an dem Interesse, auf das die zahlreichen Informationsstände der BüSo unter den Bürgern treffen, die, wie sich zeigt, zunächst fast gar nichts über die Lissaboner Machenschaften wissen, dann aber, wenn sie etwas darüber erfahren haben, ohne viel Zögern ihre Unterschrift für die Forderung der BüSo nach einem Referendum geben. Die BüSo allerdings verbindet im großen Unterschied zu anderen Organisationen des Protests ihre Kampagne gegen den Lissabon-Vertrag mit dem gleichzeitigen Kampf für die Verteidigung der republikanischen Errungenschaften der USA gegen die neofaschistischen Pläne der anglo-holländischen Finanzoligarchie und deren Mitläufern an der Wall Street. Das weckt auch das größte Interesse bei Bundesbürgern, die in den deutschen Medien hierzu bisher gar nichts erfahren haben.
Ähnliche Erfahrungen hat die LaRouche-Bewegung auch in anderen Ländern gemacht, in denen sie direkt in die öffentliche Debatte interveniert, wie in Frankreich, Italien, Dänemark, Schweden, aber auch Österreich. In Irland, Belgien und den Niederlanden ist von Gegnern des Lissabon-Vertrags ebenfalls damit begonnen worden, auf die Verbindung des Projekts „Europa“ mit den Plänen der Finanzoligarchie hinzuweisen. Hiermit entwickelt sich die Debatte in die eigentlich interessante Richtung, und zusammen mit der sich gerade jetzt verschärfenden Krise auf den Weltfinanzmärkten wird dieses Thema auch aktuell für all diejenigen werden, die in diesen Tagen ihre letzten Illusionen über den Zustand der Wirtschaft verlieren.
Rainer Apel
Lesen Sie hierzu bitte auch: Alfonso Gianni: „Lissabon-Vertrag ist antidemokratisch“ - Neue Solidarität Nr. 16/2008 Europaweite Mobilisierung gegen Lissaboner Vertrag - Neue Solidarität Nr. 15/2008 „Der Vertrag würde den Nationen das Vetorecht nehmen“ - Neue Solidarität Nr. 15/2008 Der Lissaboner Vertrag der EU bedeutet Diktatur - Neue Solidarität Nr. 15/2008 Senatorin Lidia Menapace für Referendum über Lissabon-Vertrag - Neue Solidarität Nr. 15/2008 „Dies könnte ein Vertrag sein, der das Ende der Nationen bedeutet” - Neue Solidarität Nr. 14/2008 „Der ,Mini-Vertrag’ hat 3000 Seiten“ - Neue Solidarität Nr. 14/2008 NEIN zum europäischen Empire! EU-Militarisierung muß gestoppt werden! - Neue Solidarität Nr. 12-13/2008 |
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